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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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sicher fühlen und die Kraft schöpfen, die er für sein tägliches Leben braucht. Und nur zwei Menschen, die sich vertrauen, schließen den Bund der Ehe, das heißt, sie ›trauen‹ sich und schwören sich ewige Treue.«
    Gabriella sah Neri von der Seite an, aber er tat, als bemerke er den Blick nicht, und starrte weiterhin stur geradeaus. Die Mütze seiner Sonntagsuniform hatte er auf den Knien, und er wirkte paralysiert wie ein Lamm, das dem Wolf ins Auge schaut und darauf wartet, gefressen zu werden, weil es zur Flucht keine Chance mehr hat.
    Daraufhin nahm Gabriella Neris Hand und drückte sie sanft, Neris Blick blieb jedoch vollkommen unbeweglich.
    Gabriella seufzte leise.
    »Diese unerschütterliche Treue haben uns Gloria und Emilio während ihrer langen Ehe in bewundernswerter Weise vorgelebt«, predigte Don Lorenzo weiter, »und diese große Liebe, diese für immer währende Treue wollen wir heute feiern.«
    Da Neri das Wort »Treue« allmählich nicht mehr hören konnte, hatte er das große Bedürfnis einzuschlafen, aber es gelang ihm nicht.
    »Die Treue gilt bis zum Tod und sogar darüber hinaus, daher kann Gloria heute auch voller Dankbarkeit auf ein halbes Jahrhundert nie enden wollender Treue zu Emilio zurückblicken, die den Tod sogar überdauert hat. Zum Zeichen ihrer Liebe trägt sie immer noch ihren Ehering, den sie, wie sie mir sagte, noch niemals abgelegt hat. Gib mir deine Hand, Gloria, damit ich ihn segnen kann.«
    Was für ein raffinierter Hund, dachte Neri amüsiert, er hat es doch wahrhaftig geschafft, mit diesen fürchterlich pathetischen Worten dem ganzen Zirkus so etwas wie einen Sinn zu entlocken und noch einen draufzusetzen. Alle Achtung, Don Lorenzo, du bist cleverer, als ich dachte.
    Don Lorenzo segnete Glorias Ring, und Gloria schluchzte leise.
    Arturo spielte das »Halleluja« von Händel.
    Nach der Messe zogen die Familie und die Gäste mit Gloria und Gabriella an der Spitze zurück zum Castelletto.
    Die Tische waren festlich gedeckt, die Vorspeise war bereits serviert und blieb unter silbernen Hauben warm.
    Maria ging herum und bot Gläser mit Prosecco oder Orangensaft an.
    »Willst du was sagen?«, fragte Gabriella pro forma, aber Neri schloss nur die Augen.
    Sie trat einen Schritt vor, und es wurde still. Alle Augen waren auf sie gerichtet.
    »Liebe Mama und liebe Gäste«, begann sie, und Neri registrierte, dass er und Gianni in ihrer Anrede gar nicht vorkamen. Aber das war sicher keine Absicht gewesen, und er beschloss, sich darüber nun nicht auch noch aufzuregen.
    »Heute ist ein wundervoller Tag, ich bin ganz glücklich, und das liegt daran, dass du, Mama, eine so großartige Idee hattest. Du feierst heute deine goldene Hochzeit, obwohl Papa seit neun Jahren nicht mehr lebt. Das ist sicher nicht üblich, aber ich finde es prima. In Gedanken bist du immer noch seine Frau, und in deinem Herzen gibt es für dich seit fünfzig Jahren bis heute keinen anderen Mann. Ihr hattet einundvierzig Jahre lang eine glückliche Ehe, und wenn das alles zusammen kein Grund zum Feiern ist, dann weiß ich nicht. Ich finde, deine Idee ist auch für andere durchaus nachahmenswert. Und darauf wollen wir trinken: Salute, Mama, bleib gesund, auf dass wir auch deine diamantene Hochzeit noch gemeinsam feiern können.«
    Was der Himmel verhüten möge, dachte Neri, stieß aber unter dem allgemeinen Jubel lächelnd mit den anderen Gästen an.
    »Lasst es euch schmecken!«, krähte Oma. »Ihr seid alle meine Gäste!«
    Selbstverständlich, nur dass ich bezahle, kommentierte Neri in Gedanken, grunzte, setzte sich neben seinen Sohn Gianni und beschloss, heute Abend zumindest im Rotwein zu ertrinken. Er hatte in dieser Nacht keinen Dienst und auch morgen frei, und schließlich konnte Gabriella sie nach Hause fahren. Er war jetzt privat und hatte fest vor, anständig über die Stränge zu schlagen.
    Karl, Christine und Raffael aßen an einem Tisch etwas abseits, und die übrigen Gäste des Castellettos waren in einen separaten Teil, auf eine überdachte Terrasse in der Nähe des Pools, umquartiert worden.
    Nach dem Dessert bat Neri die Familie Herbrecht an seinen Tisch, um mit ihnen anzustoßen.
    Raffael saß durch Zufall Gianni gegenüber. An den Gesprächen, die seine Eltern mit Neri, Gabriella und Don Lorenzo führten, konnte er sich nicht beteiligen, weil er kein Wort verstand. Aber plötzlich fragte Gianni mit leiser Stimme: »Bist du immer hier oder nur in ferie?«
    Raffael konnte es gar nicht

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