Bewusstlos
Schrecklichste war, dass ihre Kehle durchschnitten war. So tief, dass der Kopf fast völlig vom Körper abgetrennt war.
Christine stand bestimmt zwei Minuten lang bewegungslos. Dann drehte sie sich langsam um, verließ das Appartement, zog die Tür hinter sich zu und stieg hinauf in den Turm.
Noch nie hatte Karl seine Frau so leichenblass und so ruhig gesehen. Wie eine wandelnde Tote kam sie in Zeitlupe auf ihn zu.
»Was ist los?«, fragte Karl alarmiert. »Ist was passiert? Ist was mit Stella?«
»Paola«, hauchte Christine, und der Blick, den sie ihm zuwarf, konnte alles bedeuten.
Ihm wurde schlecht vor Angst.
»Was ist mit Paola?«
Als sie nicht reagierte, packte er ihre Schultern und schüttelte sie. »Christine, sag mir, was mit Paola los ist! Wieso bist du so komisch?«
Christine fing an zu zittern und hyperventilierte.
Er wartete nicht weiter, es war deutlich, dass Christine unter Schock stand.
Ohne sie weiter zu beachten, rannte er die Treppe hinunter ins Appartement vier.
Das Messer, das neben Paola auf dem Bett lag, erkannte er sofort. Ein Springmesser. Teuer, mit Elfenbeineinlage und Perlmuttsplittern. Raffael hatte gestern damit herumgespielt.
Solche Messer waren etwas Besonderes. Wahrscheinlich so scharf, dass sie ein Blatt Papier im Flug zerschnitten.
Karl wollte ihn irgendwann einmal danach fragen, an diesem Abend hatte er es nicht getan, weil er befürchtete, dass sich Raffael zu diesem Zeitpunkt durch jede noch so belanglose Frage provoziert fühlen könnte.
Und jetzt lag das Messer neben Paolas Leiche.
Kein Zweifel, es war eindeutig Raffaels Messer.
Wie elektrisiert fuhr er herum, als er einen Luftzug im Nacken spürte, und war erleichtert, dass es Christine war, die schweigend hinter ihm stand.
»Ganz ruhig, ganz ruhig«, murmelte er leise, um sich selbst Mut zu machen, und er versuchte zu begreifen, dass vor ihm eine abgeschlachtete nackte Frau lag, die seit vier Monaten seine Geliebte war und mit der er vor ungefähr sieben Stunden noch geschlafen hatte. »Wir müssen erst mal zu uns kommen, uns beruhigen und überlegen, was jetzt am besten zu tun ist. – Wo ist Stella?«
»Bei Maria«, flüsterte Christine.
Karl wertete es als gutes Zeichen, dass Christine wieder sprechen konnte und offenbar dabei war, ihren Schock zu überwinden.
»Komm. Gehen wir zu ihr, und dann sehen wir weiter.«
Er legte den Arm um Christines Schultern und führte sie hinaus. Das Appartement schloss er ab und steckte den Schlüssel in seine Hosentasche.
Eins war ihm jetzt schon klar: Auf gar keinen Fall durfte er die Carabinieri rufen. Wenn sie die Leiche untersuchten, würden sie sein Sperma finden, und dann war er dran.
Aber das durfte er Christine natürlich nicht sagen.
RAFFAEL
48
Er erwachte, weil er einen so trockenen Mund hatte, dass er anfing zu husten und zu würgen. Nach Luft schnappend, setzte er sich auf und sah sich im Zimmer um, in dem es schon taghell war, ob irgendwo eine Flasche Wasser herumstand.
Da war keine Wasserflasche, und er wollte schon fluchend aufstehen, als er es bemerkte: Sein T-Shirt, seine Unterhose, sein Bettzeug – alles war voller Blut.
Es war wie ein Déjà-vu. Er tastete sich vorsichtig ab, aber er war unversehrt. Hatte keine Schmerzen, keine Wunde, keine Verletzung.
Und in diesem Moment erfasste ihn Panik.
Bitte, nicht schon wieder.
Auch seine nackten Beine und Hände waren blutverschmiert.
Was ist los?, dachte er verzweifelt. Was hab ich getan? Und die Erinnerung an Berlin und an die blutige Kleidung im Ofen stand ihm wieder deutlich vor Augen.
Was, zum Teufel, war letzte Nacht hier geschehen? Hier, wo seine Eltern waren, wo jeder ihn kannte, wo er der Sohn des Padrone war?
Schon wieder so ein Scheißfilmriss.
Ihm wurde schlecht, und er zwang sich nachzudenken.
Aber da kam nichts.
Er hatte nicht die geringste Ahnung, was geschehen war.
Jetzt musste er schnell etwas unternehmen. Jeden Augenblick konnte seine Mutter wegen irgendeiner Kleinigkeit hereinplatzen, und was dann los war, wagte er sich gar nicht auszumalen.
Und da kam ihm ein fürchterlicher Gedanke.
Er stand auf und begann seine Taschen zu durchwühlen. Jede Tasche mehrmals, und er wurde immer hektischer.
Aber er fand es nicht. Es war weg. Sein Messer war schon wieder verschwunden.
Was hatte er getan, und wo war – verdammt noch mal – sein Messer?
Das durfte alles nicht wahr sein.
Er schüttelte sich angewidert, zog sich aus und das verdreckte Bettzeug ab, ging schnell unter die
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