Bewusstlos
wieder.« Sie schmiegte sich in seinen Arm.
Raffael grinste.
Obwohl die Hitze auch jetzt gegen Abend im Innenhof noch brütete, begann Christine zu frieren.
Und dann explodierte sie.
»Bist du wahnsinnig geworden?«, schrie sie. »Hast du sie nicht alle? Stella sieht aus wie ein gerupftes Huhn!«
»Findest du?«, meinte Raffael gelangweilt.
»Ja, das finde ich. Womit hat er dir denn die Haare geschnitten?«, wandte sie sich an Stella.
»Mit seinem Messer«, antwortete Stella kleinlaut.
»Wie bitte? Mit seinem Messer? Mit was für einem Messer? Ich denke, du hast deins verloren?«
»Ich hab mir ein neues gekauft.«
»Ja bist du denn völlig verrückt geworden?« Sie sprang vor, packte Raffael an den Oberarmen und schüttelte ihn. »Hast du dir den Verstand jetzt vollständig aus dem Kopf gesoffen? Du kannst doch nicht mit einem Messer auf ihrem Kopf rumschneiden!«, kreischte sie. »Hast du denn gar keine Vorstellung davon, was dabei alles passieren kann? Wenn sie zuckt, schneidest du ihr in den Kopf oder in den Hals oder wie?«
»Nun komm mal langsam wieder runter«, bemerkte Raffael gelassen, was Christine noch wütender machte.
»Ich denke nicht daran, wieder runterzukommen, verstehst du? Du bist so widerlich! Was willst du hier eigentlich?«
Raffael schwieg und hatte sein Dauergrinsen im Gesicht.
»Ich will nicht, dass du jemals wieder mit Stella allein weggehst! Ist das klar? Ohne mich oder Papa läuft hier gar nichts mehr. Du hast kein Verantwortungsbewusstsein! Du hast keine Ahnung von Kindern! Du kennst dich hier nicht aus, du weißt nicht, wo in den Trockenmauern an den Olivenfeldern die Vipern wohnen, deren Biss ein kleines Mädchen in einer halben Stunde töten kann! Du weißt nicht, dass ein aufgescheuchtes Stachelschwein einen Menschen mit seinen Stacheln durchbohren und umbringen kann. Du weißt nicht, wie du reagieren musst, wenn du Wölfen begegnest …«
»Nee. Ich bin ja auch bescheuert.«
»Ja. Und deswegen bist du keine fünf Minuten mehr mit Stella allein! Hast du das kapiert?«
»Aber warum denn nicht, Mama?«, fragte Stella leise. »Ich kenn mich doch aus!«
Christine antwortete nicht.
Christine wollte nur noch weg. Wollte sich in ihren kühlen Turm zurückziehen, sich unter einer Decke verkriechen und versuchen, ihre Gedanken zu sortieren. Wollte begreifen, was in Raffael gefahren war.
Sie war völlig durcheinander, zitterte und wusste, dass sie Angst hatte. Unsagbare Angst, weil dieser fremde Mann da war, den sie nicht verstand und der einmal ihr Sohn gewesen war.
Aber sie kam nicht mehr dazu, sich zu verstecken, weil in diesem Augenblick Karl aus dem Schlafzimmer kam.
»Hallo!«, meinte er betont fröhlich. Dann registrierte er die zentimeterkurzen, vollkommen verschnittenen Haare seiner Tochter.
»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte er fassungslos.
»Raffael hat mir die Haare geschnitten. Mit einem großen scharfen Messer. Damit ich so aussehe wie seine Schwester, die tot ist.«
Karl durchlebte drei Schrecksekunden. Dann polterte er los, und es war ihm völlig egal, ob die Gäste mitbekamen, wie er Raffael anschrie.
»Bist du völlig verrückt geworden, du Schwachkopf? Was ist denn in dich gefahren?«
Raffael sagte nichts, sondern grinste nur. Dann ging er in die Küche, holte sich eine Flasche Wein, öffnete sie, kam zurück nach draußen und trank direkt aus der Flasche.
Aber Karl war noch nicht fertig.
»Was hast du dir dabei gedacht, mein schönes Mädchen derartig zu verstümmeln? Erzähl mir nicht, dass es dir um diese alte Geschichte ging, die wir alle jahrelang versucht haben zu verarbeiten und zu vergessen. Das, was du mit Stella gemacht hast, ist nicht Nostalgie, sondern Körperverletzung! Du spinnst doch wohl! Du bist doch nicht mehr ganz dicht! Du solltest dringend mal zum Arzt gehen!«
Raffael lächelte unentwegt, als pralle jeder Vorwurf an ihm ab.
»Gefällt dir meine neue Frisur nicht, Papa?«, fragte Stella zaghaft.
»Nein. Du siehst scheußlich aus. Als wenn Ratten deine Haare abgefressen hätten!«
Stella brach in Tränen aus, und Raffael nahm sie auf den Arm.
»Du bist das schönste Mädchen der Welt«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Meine kleine allerliebste Schwester, die ich endlich wiederhabe und die ich nie wieder im Stich lassen werde.«
»Ich möchte, dass du von hier verschwindest.« Karls Ton war scharf. »Morgen früh bist du weg. Und ich habe kein Interesse daran, dass du jemals wiederkommst. Und deine Mutter sicher auch
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