Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
Vom Netzwerk:
nicht.«
    »Nein«, sagte Raffael überaus freundlich. »Den Gefallen werde ich euch nicht tun. Ich bleibe. Weil ich nicht im Traum daran denke, meine Schwester noch einmal zu verlassen.«
    Und sie schmiegte sich so fest an ihn, dass sie ihre Eltern nicht ansehen musste.
    Karl kochte.
    »Dieser Scheißkerl«, zischte er. »Ich will ihn loswerden. Er bringt unser gesamtes Leben durcheinander. Und vergiss nicht, was er getan hat. Ich kann ihn nicht mehr sehen und will, dass er abhaut. Lieber jetzt als in fünf Minuten.«
    »Ja«, hauchte Christine, »ja, du hast ja recht. Ich seh das ganz genauso.« Dabei hatte sie bei seiner Ankunft davon geträumt, ihn nie wieder zu verlieren.
    »Wo ist eigentlich Maria?«, fragte Karl. »Wieso kümmert sich Raffael um Stella und nicht Maria?«
    Christine wurde flammend rot. Richtig. Wo war eigentlich Maria? Stellas Stoppelschnitt hatte sie so durcheinandergebracht, dass sie Marias Abwesenheit gar nicht bemerkt hatte.
    Sie zog ihr Handy aus der Tasche und rief Maria an. Diesmal bekam sie Anschluss.
    »Wo bist du?«, fragte sie statt einer Begrüßung.
    »Bei meiner Mutter. Sie wissen, dass sie sehr krank ist.«
    »Das interessiert mich nicht. Du solltest auf Stella aufpassen. Das ist dein Job, nichts anderes.«
    »Aber Ihr Sohn kam plötzlich und sagte, er wolle mit Stella spazieren gehen. Und Stella war ganz begeistert. Und da hab ich mir nichts bei gedacht, er ist doch schließlich Ihr Sohn und Stellas großer Bruder! Ich konnte es ihm ja nicht verbieten!«
    »Du hättest mich anrufen können.«
    »Aber ich dachte doch, es ist alles in Ordnung, wenn Stella mit ihrem großen Bruder …« Maria war den Tränen nahe.
    »Wenn sich irgendetwas ändert, möchte ich informiert werden. Ist das klar?«
    »Ja, natürlich«, hauchte Maria. »Aber … ich meine … ist irgendetwas passiert?«
    »Nein. Kümmere dich jetzt um deine Mutter, und dann sehen wir uns morgen früh um acht.«
    »Um acht. Ja. Selbstverständlich. Buonanotte.«

57
    Kein Lüftchen regte sich. Die Luft stand über den Hügeln, und jeder Hausbesitzer betete, dass kein Feuer ausbrechen werde, was häufig passierte, wenn Autofahrer gedankenlos die brennende Zigarette aus dem Auto warfen oder Touristen nach einem Picknick Gläser oder Flaschen zurückließen, die wie ein Brennglas funktionierten und den Waldboden entzündeten, wenn die Sonne darauf schien.
    Die Welt hatte aufgehört zu atmen, man wartete auf die kühleren Abendstunden und verbrachte den Tag im Schatten oder in abgedunkelten Räumen.
    Im Castelletto machte in diesen Mittagsstunden jeder Siesta. Auch Stella schlief in ihrem Zimmer.
    Erst als ihre Tür leise geöffnet wurde, wachte sie auf.
    Raffael legte den Finger auf die Lippen, kam herein und setzte sich an ihr Bett.
    »Na, Schwesterherz, wie geht’s?« Er strich ihr zart über die Wange.
    »Gut.«
    »Willst du weiterschlafen, oder wollen wir was unternehmen?«
    »Was denn?«
    Raffael nahm sie in den Arm und flüsterte: »Wie wär’s, wenn wir ein bisschen zum See gehen? Und mit dem alten Ruderboot fahren, das wir da gesehen haben? Hast du Lust? Denn hier ist es doch langweilig …«
    »Ja, schon«, sagte Stella zögernd, »aber ich darf doch nicht. Mama hat verboten, dass wir beide allein weggehen! Und Maria schläft jetzt auch.«
    »Dann merkt es doch keiner! Die schlafen alle, und in ’ner Stunde sind wir wieder hier.«
    Stella war hin und her gerissen und wusste nicht, was sie machen sollte. Auf der einen Seite hatte sie riesige Lust, mit Raffael Boot zu fahren, aber auf der anderen Seite hatte sie Angst, dass ihre Eltern wieder wütend wurden.
    »Na los! Komm, wir gehen. Sei kein Frosch! Und wenn, dann bekomme ich den Ärger. Ich bin dein großer Bruder, ich hab das zu verantworten. Und das ist alles in Ordnung.«
    Stella gab sich einen Ruck und stand auf.
    »Gut. Dann haun wir ab.«
    Leise und unbemerkt schlichen sich Raffael und Stella davon.
    Stella war beim Abendessen ungewöhnlich still und müde, aß kaum etwas und verkrümelte sich bereits um halb neun in ihr Zimmer, obwohl sie in den Ferien länger aufbleiben durfte.
    Eine Viertelstunde später ging Christine zu ihr, um Gute Nacht zu sagen.
    Sie fühlte, dass irgendetwas passiert war. Stella war nicht so unbekümmert und fröhlich wie sonst, sondern irgendwie nervös.
    Im Eiltempo zog sich Stella aus und schlüpfte unter ihr Laken, das im Sommer eine Bettdecke ersetzte.
    »Geht es dir gut, mein Schatz?«, fragte Christine.
    »Ja, klar.«

Weitere Kostenlose Bücher