Bewusstlos
Fahrer bei einer Baustofffirma in Montevarchi, aber die haben Pleite gemacht. Und jetzt suche ich einen Job.«
»Seit wann machen Baustoffhändler Pleite?« Neri zog die Augenbrauen hoch. »Normalerweise verdienen die sich ’ne goldene Nase, und zwar so, dass uns allen die Tränen kommen.«
Allmählich fragte sich Vasco, was das Ganze sollte. Ging es hier um ihn oder um seine verschwundene Freundin?
»Ich habe seit zwei Jahren mit meiner Freundin Paola Piselli zusammengelebt. Sie arbeitet seit drei Jahren bei Deutschen im Castelletto Sovrano. Am Anfang hat sie geputzt und die Gäste bedient, aber seit einem Jahr passt sie nur noch auf die kleine Tochter auf. Der Job hat ihr gut gefallen.«
Jetzt wurde Neri hellhörig. Castelletto Sovrano. So, so. Da hatten sie vor ein paar Tagen Omas Schwachsinn gefeiert, und jetzt war das Kindermädchen verschwunden. Sieh mal an, so klein war die Welt.
»Va bene. Du sagst, deine Freundin Paola ist verschwunden. Erzähl mal genau wie, wo und warum.«
Vasco atmete tief durch. Jetzt musste er eine Menge auf einmal in seinem Kopf sortieren.
»Also: Paola kam nach Hause, das muss am Freitag gewesen sein – ich bin jetzt schon ganz durcheinander mit den Tagen, weil ich gar nicht mehr weiß, wie ich denken soll –, also Freitagabend, und sie hatte wieder ewig gearbeitet. Sie macht dauernd Überstunden im Castelletto, und das geht mir auf die Nerven. Die Familie ist ihr viel wichtiger als ich. Die geht immer vor. Sie ackert, so viel die wollen, muckt nie auf, und das regt mich auf. Jedenfalls kam sie, und wir hatten einen kleinen Streit wegen der ganzen Sache im Castelletto und so, und da hat sie gesagt, dass ich nur sauer bin, weil sie einen Job hat und ich nicht, und da hab ich ihr eine geknallt. Weil das nicht stimmt. Ich wollte mit ihr nach Sizilien, ein neues Leben anfangen, aber davon wollte sie nichts hören. Und da sind bei mir die Sicherungen durchgebrannt.«
Neri nickte wie ein weiser alter Mann und fühlte sich richtig gut dabei.
»Und nach dem Streit ist sie abgehauen?«
»Nein. Sie ist ins Bett gegangen und hat gepennt. Und ich hab mir den Kopf zugeschüttet an dem Abend, und darum hab ich auch nicht mitgekriegt, wie sie morgens abgehauen ist. Jedenfalls bin ich so gegen elf aufgewacht, und da war sie nicht mehr da.«
»Hat sie ein Auto?«
»Ja, klar.«
»Und mit dem ist sie gefahren?«
»Ja.«
»Was denn für ein Auto?«
»Ein blauer Fiat Punto.«
»Kennzeichen?«
» EB – 208 – FG .«
»Okay.« Neri notierte sich die Nummer. »Was glaubst du denn, wo sie hingefahren ist?«
»Ins Castelletto natürlich. Arbeiten. Ihr geliebter Job ging ihr ja über alles. Sie fand es ja toll, auf dieses verzogene Gör aufzupassen.«
»Sie. Aber du nicht?«
»Nee, ich nicht. Ich hasse diese überkandidelten Deutschen, denen das Geld aus den Ohren rauskommt, die sich hier die tollsten Häuser kaufen und sich jede Menge Angestellte leisten können, die ihnen den Arsch abputzen. Ich finde, die haben hier nichts zu suchen. Und wenn ich könnte, würde ich sie alle aus dem Land rausschmeißen.«
Neri schwieg. Gerade die Deutschen vom Castelletto hatte er als äußerst angenehm empfunden, und Gianni hatte sich sogar mit deren Sohn angefreundet. Dieser Vasco war einfach eine primitive Natur, die nicht differenzieren konnte.
»Und seitdem hast du nichts mehr von ihr gehört?«
»Genau.«
»Hast du mal mit den Deutschen im Castelletto gesprochen?«
»Klar. Sie haben gesagt, Paola ist nicht mehr zur Arbeit gekommen. Und sie waren irgendwie sauer. Aber das kann natürlich auch nur Show gewesen sein.«
»Und sonst?«
»Ich hab alle Leute angerufen, die mir eingefallen sind: ihre Eltern, ihre Tante, die sie sehr gern mag, und ihre Freundinnen, soweit ich sie kenne. Nichts. Sie ist nirgends.«
»Tja.« Neri trommelte mit dem Bleistift auf der Tischplatte herum. »Also: Paola ist wie alt?«
»Fünfundzwanzig.«
»Und du?«
»Dreiunddreißig.«
»Va bene. Paola ist also eine erwachsene Frau. Sie kann machen, was sie will, und sie kann gehen, wohin sie will. Sie ist niemandem Rechenschaft schuldig. Sie hat sich über dich geärgert, und sie ist abgehauen. So einfach ist das. Das ist nicht schlimm, und das ist kein Verbrechen. Und solange wir keine Leiche haben, können wir leider gar nichts machen.«
Vasco war einen Moment fassungslos und schnappte nach Luft.
»Aber auch wenn wir keine Leiche haben, kann ihr doch was passiert sein!«
Neri zuckte die Achseln. »Kann –
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