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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Stellas Stimme klang dumpf und traurig.
    »Dir tut nichts weh?«
    »Niente.«
    »Aber du wirkst, als ob du Kummer hast.«
    »Nö.«
    »Ist heute irgendwas passiert?«
    »Nö.«
    »Du kannst mir alles erzählen, Stella. Ich bin dir nicht böse, ganz egal, was es ist.«
    »Hm.«
    »Du hast doch was, meine kleine Schnecke.«
    »Nö.«
    Christine nahm Stella in den Arm und spürte augenblicklich, wie verkrampft sie war. Aber sie drang nicht weiter in sie, sondern wiegte sie sacht hin und her und sah sich währenddessen im Zimmer um.
    Es dauerte lange, bis sie ihn sah: den zusammengeknüllten Wäschehaufen unter dem Schrank, in dem Stella ihre Spielsachen aufbewahrte. Das war ungewöhnlich, denn normalerweise warfen Paola oder Maria Stellas schmutzige Wäsche direkt in den Wäschekorb in der Waschküche.
    Christine stand auf und zog die Wäsche wortlos unter dem Schrank hervor. Sie war nass.
    »Was ist das?«, fragte sie und versuchte, nicht böse zu klingen.
    Stella presste die Lippen aufeinander und sagte keinen Ton.
    »Das sind doch dein T-Shirt und deine Shorts, oder?«
    Stella nickte.
    »Warum sind die Sachen denn klatschnass?«
    Stella begann zu weinen, und Christine setzte sich wieder zu ihr.
    »Erzähl’s mir, Schnubbel. Warum sind deine Klamotten nass? Keine Angst, ich schimpfe nicht.«
    »Wir waren auf dem See. Raffael und ich«, schluchzte Stella.
    »Wann?«
    »Heute Mittag. Als alle Siesta gemacht haben. Keiner hat’s gemerkt.«
    Christine wurde augenblicklich wütend auf Raffael, versuchte aber, sich Stella gegenüber nichts anmerken zu lassen.
    »Und dann?«
    »Wir sind mit einem alten Ruderboot rausgefahren, das da lag, aber das war kaputt, und dann ist immer mehr Wasser reingelaufen, und dann ist es untergegangen.«
    Obwohl sie wusste, dass ihre Tochter lebendig und unversehrt neben ihr saß, wurde Christine schlecht vor Angst.
    Stella weinte jetzt heftig. Ihr gesamter kleiner Körper schüttelte sich.
    »Ganz ruhig, Spatz. Erzähl weiter.«
    »Ich hatte solche Angst, dass ich ertrinke! Bin immer mehr untergegangen, meine Nase war schon fast unter Wasser, aber dann hat mich Raffael ganz fest gepackt und ans Ufer geschleppt.«
    Christine war fassungslos.
    »Bitte, Mama, du darfst nicht mit ihm schimpfen. Es war nicht seine Schuld. Das Boot ist einfach untergegangen, weil es so alt und kaputt war. Da konnte Raffael gar nichts für!«
    »Ja, Stella, ich weiß. Ich werde auch nicht mit ihm schimpfen. Mach dir keine Sorgen.«
    »Wirklich nicht?«
    »Ganz bestimmt nicht.«
    Christine lächelte, obwohl es ihr schwerfiel, und drückte Stella einen Kuss auf die Nase. »Denk einfach nicht mehr daran. Es ist alles in Ordnung.«
    Stella schloss die Augen, und Christine zog ihr das Laken bis zum Kinn.
    »Schlaf gut, mein großes, schönes Mädchen«, flüsterte sie und dachte daran, was es für ein fürchterliches Gefühl war, durch diese zerrupften Haare zu fahren, die einmal seidig, lang und glänzend gewesen waren.
    »Gute Nacht, mein Liebling. Und wenn was ist, dann komm und sag Bescheid. Wir sind da.«
    Stella murmelte etwas Unverständliches. Den letzten Satz ihrer Mutter hatte sie bestimmt nicht mehr gehört, denn ein riesiger Stein war von ihrer Seele gefallen, und sie war bereits eingeschlafen.
    Nachdem Christine Stella ins Bett gebracht hatte, rannte sie treppauf, treppab durchs Castelletto und suchte Karl, bis sie ihn endlich in der Werkstatt fand, wo er einen alten Stuhl geleimt hatte und gerade im Schraubstock befestigte.
    »Ich muss mit dir reden«, stieß sie atemlos hervor. »Sofort.«
    Karl sah die Panik in ihren Augen, fragte nicht weiter nach und folgte ihr auf die kleine Terrasse hinter dem Turm. Hier hatten sie ihre Ruhe, waren vollkommen ungestört und abgeschirmt von den Gästen, die auf dem Hof die warme Nacht genossen.
    Karl öffnete eine Flasche Rotwein.
    »Wo ist Raffael?«, fragte er als Erstes.
    »Keine Ahnung. Ich weiß nicht, was er macht, ich hab ihn, seit ich Stella ins Bett gebracht hab, nicht mehr gesehen.«
    »Was ist passiert? Warum willst du mit mir reden?«
    »Er war mit Stella heute Mittag auf dem See, Karl. Obwohl er weiß, dass sie nicht schwimmen kann. Und das Boot ist untergegangen.« Ihre Stimme zitterte.
    Karl war sprachlos, und Christine wusste, dass er konzentriert nachdachte.
    »Du weißt, dass ich ihm verboten habe, mit Stella irgendetwas allein und ohne unser Wissen zu unternehmen.«
    Karl nickte. »Ja, ja, ich weiß.«
    »Aber er tut es trotzdem.«
    Karl

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