Bewusstlos
Chinese lächelte, zückte seine Brieftasche und glich den Pot aus. Darin lagen jetzt elftausendneunhundert Euro.
»Ich möchte bitte Karten sehen«, sagte der Chinese leise und freundlich und lächelte beinah entschuldigend.
Raffael wurde flammend rot und wünschte sich eine Flasche Whisky, um sich Mut anzutrinken, bevor er sich entblätterte. Plötzlich kamen ihm Zweifel, ob er wirklich alles richtig gemacht hatte. Denn was für ein Blatt hatte der Chinese, wenn er wünschte zu sehen?
Eine Sekunde wurde Raffael schwarz vor Augen, dann legte er seine Karten offen auf den Tisch.
Der Straight Flush war beeindruckend. Auch Bruno hatte so ein Blatt noch nie auf der Hand gehabt.
Raffael spürte die bewundernden Blicke, und seine Selbstsicherheit kehrte zurück. Er sah den Chinesen mit einer Spur von Arroganz abwartend an.
Der Chinese lächelte immer noch. Quälend langsam legte er jede einzelne Karte auf den Tisch.
Es war ein Royal Flush .
Zum ersten Mal in seinem Leben spürte Raffael, was eine »Leere« im Kopf ausmachte. Da waren für wenige Sekunden kein Entsetzen, keine Wut, keine Verzweiflung, keine Angst und keine Hilflosigkeit. Da war rein gar nichts. Und das tat in dem kurzen Moment richtig gut.
Aber dann begann er zu begreifen, und eine Welt stürzte über ihm zusammen.
Er lief rot an, stieß einen Schrei aus und ballte die Fäuste. All seine Aggressionen richteten sich gegen den Chinesen, und er sah aus, als wolle er sich im nächsten Moment auf ihn stürzen, ihm die Augen auskratzen und dann seinen Kopf zerschmettern, wie eine reife Melone an einem spitzen Stein.
Bruno sprang auf und hielt Raffael fest, fixierte seine Hände im Rücken, damit er sich beruhigte.
Unterdessen packte der Chinese sein Geld ein und gab Sergiu einen Tausender.
»Für dich. Angenehmen Abend noch.«
Dann ging er.
In dieser Situation war niemand von diesem Tisch in der Lage, weiterzuspielen. Alle standen auf, vertraten sich die Füße und orderten etwas zu trinken.
Sergiu zog Raffael ins Hinterzimmer.
»Tut mir leid für dich«, sagte er. »Das ist aber auch der blödeste Zufall, den es überhaupt gibt, dass ihr beide solche Monsterblätter hattet.«
Raffael nickte nur. Er wusste ganz genau, was Sergiu wollte.
»Du bist mein Freund, ganz klar«, begann Sergiu, »und wir wollen doch Freunde bleiben, oder?«
Raffael nickte, aber Sergius Sprüche gingen ihm fürchterlich auf die Nerven.
»Und die besten Freundschaften scheitern am Geld, hab ich recht?«
»Ja, Mann. Was ist? Willst du mich jetzt den ganzen Abend volllabern?«
Sergius aufgesetzte Freundlichkeit verschwand augenblicklich.
»Okay, mein Freund. Du schuldest mir fünftausend Euro, klar? Plus fünfundzwanzig Prozent macht sechstausendzweihundertfünfzig. Die will ich haben, und zwar übermorgen. Freitagabend zwanzig Uhr. Wir kommen zu dir und holen uns die Kohle.«
»Reg dich ab. Ich geh morgen zur Bank, und dann kriegst du dein Geld.«
»Wunderschön. Denn Spielschulden sind Ehrenschulden, verstehst du? Wer spielt, muss Geld haben. Sonst kriegt er Ärger. Und ich will mein Geld. Komm mir übermorgen nicht mit irgendwelchen Ausreden oder Entschuldigungen, sonst …«
»Sonst was?«, fragte Raffael und wusste selbst, dass die Frage ziemlich naiv war.
»Pro Tausender einen Finger.«
Er sah Raffael offen an, als hätte er gerade den Weg erklärt: zweite Querstraße links.
Raffael blieb die Luft weg, aber er nickte.
»Gut«, sagte Sergiu, und man sah ihm an, dass er Raffael nicht zutraute, das Geld bis Freitag zusammenzukriegen. »Dann sehen wir uns übermorgen. Und in alter Frische. Du, Vladim und ich. Vladim ist ein starker, cleverer Bursche und absolut loyal. Mein bester Mitarbeiter. Wenn ich ihm sage: ›Vladim, erwürge die Anakonda‹, dann erwürgt er sie, ohne groß zu fragen, warum. Verstehst du? Ich will ja nur, dass wir uns nicht streiten und dass du nicht auf dumme Gedanken kommst, mein Freund.«
25
Raffael hätte die ganze Welt verfluchen können, so sehr kotzte ihn das alles an. Jetzt musste er den beiden Verbrechern sechstausendzweihundertfünfzig Euro von einer armen alten Frau in den Rachen schmeißen, nur weil dieses widerliche Schlitzauge ihn betrogen hatte. Denn dass der Royal Flush des Chinesen nicht mit rechten Dingen zustande gekommen war, stand für Raffael außer Frage. Die Asiaten mit ihren winzigen dreckigen Fingern konnten mit Karten tricksen, so schnell konnte man gar nicht gucken. Niemals hätte er dieses zwielichtige
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