Bewusstlos
sagt. Aber ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie sie aufgegriffen haben. Herzlichen Dank, wirklich. Komm, Oma, wir gehen nach Hause, ins Bett. Du musst schlafen.«
Er führte Lilo die Treppe hinauf und drehte sich noch einmal um.
»Danke nochmals, schönen Abend noch.«
Aruna nickte und schloss die Tür.
Die alte Frau konnte froh sein, dass sie einen Enkel hatte, der sich so liebevoll um sie kümmerte, dachte sie. Nicht auszudenken, wenn sie in diesem Zustand ganz allein wäre.
Behutsam führte Raffael Lilo die vier Treppen hinauf. Dreimal mussten sie pausieren, und die Anstrengung fiel Lilo, die durch Wasser- und Essensentzug und durch mangelnde Bewegung sichtlich geschwächt war, sehr schwer.
»Du schaffst das, Lilo«, flüsterte Raffael ihr immer wieder ins Ohr. »Du bist doch ein starkes Mädchen. Ich bin stolz auf dich.«
Lilo wusste nicht mehr, was sie denken sollte. Sie war zu schwach, um verzweifelt zu sein.
»Was denkst du dir eigentlich dabei, gleich abzuhauen, nur wenn ich mal kurz runtermuss?«, wütete Raffael, sobald er die Wohnungstür hinter ihnen geschlossen hatte.
Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern schlug ihr mit der flachen Hand mit aller Kraft ins Gesicht, sodass sie taumelte.
»Wie bescheuert bist du eigentlich? Hast du dein kleines bisschen Restverstand jetzt auch noch verloren?«, schrie er.
Lilo sank auf die Knie und kippte zur Seite. Wartete geduldig darauf, dass er sie einfach totschlagen würde.
26
Er empfand es als hartes Stück Arbeit, Lilos schlaffen Körper, der sich bei der Treppensteigerei überanstrengt und bis zur völligen Erschöpfung verausgabt hatte, zurück ins Bett zu tragen. Außerdem stank sie zum Gotterbarmen.
Angewidert ließ er sie auf die Matratze sinken.
»Trinken«, jammerte sie.
»Gleich. Nun mal nicht drängeln, Fräulein. Kommt alles. Ich muss jetzt erst mal was anderes erledigen, dann komm ich wieder.«
Ihr Seufzen war ein Zeichen tiefster Resignation. Es würde wieder Stunden dauern.
Raffael ging hinaus und schloss die Tür sorgfältig hinter sich ab.
Auf der Arbeitsplatte in der Küche kippte er den Schuhkarton aus, sortierte die Scheine, zählte langsam und genüsslich und machte Haufen zu je fünftausend Euro, damit er nicht durcheinanderkam. Am Ende hatte er siebenunddreißigtausendvierhundert Euro in gemischten Scheinen und ärgerte sich maßlos, dass er diesem Idioten von Sergiu über sechstausend hatte abgeben müssen. Sonst wären es dreiundvierzigtausendsechshundertfünfzig gewesen, und das hörte sich schon wesentlich besser an.
Aber auch die gut siebenunddreißigtausend waren eine hübsche Summe, und davon konnte er eine ganze Weile leben, wenn er standhaft blieb und sein Geld nicht wieder beim Glücksspiel verzockte.
Die vielen kleinen, unterschiedlichen Scheine zeugten davon, dass Lilo jedes Mal ein paar Euro, die sie nicht unbedingt brauchte, in den Karton gelegt hatte. Der Inhalt dieser Kiste war ihr allerletztes Hemd.
Gut, sie konnte mit ihrem Notgroschen jetzt nichts mehr anfangen, er konnte ihn dafür umso besser gebrauchen.
Er hatte wirklich das große Los gezogen, als er vor einem guten halben Jahr bei Lilo eingezogen war, und auch sie konnte froh sein, dass sie nicht so allein war. Jetzt, wo sie so schwach war, dass sie nur noch im Bett liegen konnte.
Er öffnete den Kühlschrank. Du lieber Himmel, er musste dringend mal wieder einkaufen gehen. Aber was konnte er der armen Frau denn noch zum Essen anbieten? Er durchforstete die Speisekammer und fand eine Fischkonserve. Heringe in Tomatensoße. Das war prima. Und dazu ein paar Scheiben Knäckebrot aus einer Packung, die zwar schon vor vier Monaten abgelaufen war, aber das war ja wohl nicht so wichtig.
Er packte Fischkonserve, Knäckebrot, eine kleine Gabel und eine Kanne mit Wasser auf ein Tablett und trug es zu Lilos Zimmer.
Als er hereinkam, war es dunkel. Er schaltete die trübe Deckenbeleuchtung an.
»Abendessen, Lilo! Futter und Wasser! Du siehst, ich vergess’ dich nicht. Ich vergesse dich nie! Setz dich mal ein bisschen aufrechter hin, damit ich dir das Tablett auf den Schoß stellen kann.«
Lilo rührte sich nicht.
Er stellte das Tablett neben dem Bett auf die Erde, fasste ihr unter die Achseln und zog sie hoch. Sie war immer noch schlapp wie eine nasse Libelle.
Langsam schlug sie die Augen auf.
Er schenkte ihr Wasser in ein Glas ein, das noch auf ihrem Nachttisch stand, und hielt es ihr an die Lippen.
Erst jetzt schien sie zu begreifen, reagierte
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