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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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ob die Kirche groß oder klein ist, und mir auch. Lass uns hinfahren, guck dir alles an und frag die Inhaber nach dem Preis. Da hab ich nämlich keine Ahnung.«
    »Wer sind die Besitzer?«
    »Ein deutsches Ehepaar. Karl und Christine. Sie haben die Ruine des Castellettos liebevoll restauriert, haben einen Sack voll Geld hineingesteckt, und jetzt leben sie von den Touristen, die auf der Burg Urlaub machen. Karl ist außerdem noch Winzer. Der Wein ist übrigens hervorragend. Mir sind die beiden aufgefallen, weil ihre jährliche weihnachtliche Spende für die Kirche jedes Mal mehr als üppig ausfällt. So sind wir miteinander ins Gespräch gekommen, und ich habe mir das Anwesen mal angesehen.«
    »Gut«, sagte Neri, »dann werden wir hinfahren. Damit diese Quälerei irgendwann einmal ein Ende hat.«

36
    Er schlief lange und wachte erst am Mittag um zwölf auf. War ja auch kein Problem, niemand wartete auf ihn und niemand erwartete etwas von ihm, er war sein eigener Herr und konnte machen, was er wollte. Seine Eltern liefen ihm nicht weg. Er hatte alle Zeit der Welt.
    Noch war es nicht so weit.
    Raffael ging auf die Toilette im Flur, spülte sich den Mund aus und lief dann hinunter, um sich einen Milchkaffee, eine Cola und zwei Käsebrötchen zu holen. Lauter gesunde Sachen, die Unterkunft war einfach grandios.
    Dann setzte er sich auf den Balkon, frühstückte und nahm ab und zu das Fernglas zur Hand. Er zitterte und erkannte kaum etwas, weil er das Glas nicht ruhig halten konnte. Vielleicht lag es am Alkohol vom Abend zuvor, vielleicht aber auch daran, dass seine Nerven extrem angespannt waren.
    Es war nicht so diesig wie häufig sonst am Vormittag. Raffael hatte einen klaren Blick auf das Castelletto seiner Eltern, beinah wie nach einem Gewittersturm, wenn die Landschaft unwirklich deutlich und plastisch erschien.
    Es war ihm schon lange nicht mehr so gut gegangen. Er fühlte sich wie ein König, der auf sein Volk hinabblickt.
    Unter seinem Balkon lief ein schmaler Feldweg entlang, der in die Olivenhaine führte. Eine alte, gebückte Frau kam vorbei, sah ihn und grüßte. Raffael grüßte zurück.
    Die Personen, die die kleine Piazza des Castellettos betraten, konnte er gut erkennen. Er konnte sogar sehen, ob sie eine Brille trugen oder nicht, so gestochen scharfe Bilder machte dieses Fernglas aus dem kleinen Laden in Siena.
    Gäste mit Badetaschen und Handtüchern überquerten den Hof, gingen zum Pool oder kamen vom Baden zurück.
    Er versuchte, sich die Örtlichkeit einzuprägen. Das Castelletto war offensichtlich in drei große Bereiche unterteilt. In der Mitte gab es den Haupttrakt mit einer großen breiten Treppe, die in den ersten Stock führte, dann noch zwei weiteren Etagen, die schließlich in einen breiten Turm mündeten, der auch noch einmal drei Stockwerke hatte. Raffael vermutete, dass seine Eltern in diesem Bereich selbst wohnten.
    Im linken Trakt sah er viele Türen nebeneinander, die sicher zu den einzelnen Appartements führten, die schmal waren und sich über ein oder zwei Stockwerke erstreckten. Im rechten Trakt konnte er eine große Glasfront erkennen. Sicher befanden sich dort die Speisesäle und Veranstaltungsräume, von denen der Flyer berichtete. Mithilfe des Flyers und dem, was er sah, konnte er sich den Aufbau des Castellettos ganz gut vorstellen. Den Pool, der im Werbeblättchen auch noch erwähnt wurde und dessen Foto er gesehen hatte, entdeckte er nicht. Wahrscheinlich lag er auf einer anderen Seite der Burg oder war hinter Zypressen, dichten Bäumen und hohem Buschwerk verborgen.
    Wo er auch hinsah, das Anwesen war gut gepflegt. Geranien, Hortensien, Rosen und Oleander blühten überall.
    Grandios. Er betrachtete das Ganze wie das Bühnenbild zu einem Stück, in dem er bald auftreten würde, und zitterte vor Aufregung.
    Gerade begann der erste Akt, denn die Tür an der Haupttreppe öffnete sich, und seine Mutter trat heraus. Mit einem kleinen blonden Mädchen an der Hand.
    Seine Brust durchzuckte ein schmerzhafter Stich.
    Wer war die Kleine?
    Sie setzte sich mit dem Kind unter einen der Sonnenschirme, ging kurz darauf in einen Raum des rechten Traktes. Offensichtlich war dort die Küche, denn sie kam nur Sekunden später mit zwei Gläsern Saft wieder heraus.
    Dann ließ sie sich erneut neben der Kleinen nieder und redete mit ihr.
    Raffael stand der Schweiß auf der Stirn. Er hatte beide Ellenbogen auf die Balkonbrüstung gestützt und drückte das Fernglas so fest gegen die Augen, dass

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