Bewusstlos
noch ein paar stehen, haben wir plötzlich hundert Mitwisser und potenzielle Nachrichtenverbreiter. Scusami, Gabriella, aber da müssen wir etwas anderes finden.«
»Kannst du nicht mal mit Don Lorenzo reden? Vielleicht hat er eine Idee und kennt die kleinste Kapelle der Welt.«
Neri nickte. »Ja, das kann ich machen. Außerdem hab ich bei ihm noch was gut.«
Er erinnerte sich an eine Winternacht zwischen Weihnachten und Neujahr vor anderthalb Jahren. Es hatte am Nachmittag angefangen zu schneien, es schneite immer noch unaufhörlich, und der Schnee war überfroren. Die holprige, teils steile Straße durch den Wald war glatt und rutschig, und wer jetzt nicht unbedingt musste, war bei diesem Wetter nachts nicht unterwegs.
Neri war auf dem Weg nach Sogna, denn das Ehepaar Kleist aus München, das jedes Jahr die Weihnachtsfeiertage in ihrem Ferienhaus in Sogna verbrachte, hatte ihn angerufen, weil ein verdächtiger Mann schon seit geraumer Zeit zwischen den verlassenen Häusern herumschlich. Vielleicht suchte er eine Gelegenheit zum Einbrechen.
Solche Einsätze liebte Neri gar nicht, weil man nie wusste, was einen erwartete. Er ging zwar davon aus, dass der mysteriöse Fremde längst verschwunden war, wenn er Sogna erreichte, aber er kämpfte sich dennoch mit seinem Jeep, der fürchterlich rutschte, tapfer weiter durch den Wald.
Und plötzlich sah er direkt vor sich in der Kurve eine Gestalt, die Holz auf den Anhänger eines Treckers warf und sich dabei extrem beeilte.
Bei Neri gingen alle Warnlampen an. Es war außergewöhnlich schlechtes Wetter und kurz nach elf in der Nacht. Keine Zeit, um Holz aufzuladen und nach Hause zu bringen. Wer jetzt Holz aus dem Wald holte, war ein Dieb.
Neri hielt, schaltete seine Taschenlampe an und ging auf den Mann zu.
Erst als sie unmittelbar voreinander standen, erkannten sie sich, und vor Schreck brachte keiner von beiden ein Wort heraus.
»Was machst du denn hier bei diesem Sauwetter?«, fragte Neri schließlich und war sich klar, dass es eine dumme Frage war.
»Ich hole Holz.« Don Lorenzo blickte zu Boden.
»Ich wusste gar nicht, dass das hier Kirchenland ist.«
»Ist es auch nicht.«
»Ach so. Verstehe.« Neri war vollkommen irritiert und wusste nicht, was er machen sollte. Don Lorenzo war der Pfarrer der umliegenden Orte und ein Freund.
Warum konnte er nicht einfach einmal einen normalen, ihm unbekannten Holzdieb auf frischer Tat ertappen und festnehmen? Warum musste es ausgerechnet Don Lorenzo sein? Und schon war er wieder in äußersten Schwierigkeiten und Gewissenskonflikten.
Er überlegte, was sein Kollege Alfonso in dieser Situation wohl getan hätte. »Was für ein herrlicher Winterabend«, hätte Alfonso sicher gesagt, »wirklich romantisch. Und kein Mensch unterwegs. Niemand. Es ist so herrlich still im Wald. Ich bin auf dem Weg nach Sogna, aber außer einem Rehbock habe ich kein Lebewesen gesehen.« Dann hätte er Don Lo renzo auffordernd angesehen und auf ein Angebot gewartet.
Und Don Lorenzo hätte ihm bei Gelegenheit zwei Kisten Wein vorbeigebracht.
Neri sagte: »Leg das Holz zurück, Don Lorenzo! Meines Wissens gehört das Land hier Daniele. Und sieh zu, dass du ins Warme kommst. Gute Nacht!«
Damit ließ er Don Lorenzo im Schnee stehen, setzte sich in seinen Jeep und fuhr weiter.
Über die ganze Angelegenheit hatten sie nie wieder ein Wort verloren, obwohl sie zusammen zur Jagd gegangen waren und manches Glas Wein geleert hatten. Aber Don Lorenzo wusste, dass er Neri noch einen Gefallen schuldig war.
Nun hörte er sich Neris Schilderung des Problems aufmerksam an. Neri sah, dass er sich große Mühe geben musste, ein Grinsen zu unterdrücken, und wenn man die Angelegenheit mal ganz objektiv betrachtete, war sie auch wirklich komisch.
»Ich weiß was«, sagte Don Lorenzo, als Neri geendet hatte, und jetzt grinste er wirklich, »ein Castelletto in der Nähe von Montesassi. Weit genug weg vom Schuss, aber für die Gäste immer noch bequem zu erreichen. Traumhaftes Anwesen mit hervorragenden Räumlichkeiten zum Feiern oder auch zum Übernachten, aber das Wichtigste ist die kleine, wirklich winzige Kapelle, die noch in Betrieb ist. Wenn da zehn Leute drin sind, ist sie überfüllt. Ich sag dir, das Castelletto ist für eure Wünsche wie geschaffen.«
Neri war sprachlos, dass sich das Problem scheinbar so schnell lösen ließ. »Und du würdest in dieser Chiesina auch wirklich eine Messe lesen?«
»Natürlich! Dem lieben Gott ist es völlig gleich,
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