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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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greifen musste, aber das war eben Schicksal. Andere Leute machten Verluste an der Börse, kauften sich die falschen Autos oder ließen ihre Brieftasche irgendwo in der Gegend herumliegen. Sein Ruin war auf die Dauer eben Oma, und mittlerweile hatte er den Eindruck, dass sie verdammt zäh war und wahrscheinlich hundertzwanzig werden würde.
    »Oma überlebt uns alle«, hatte er schon oft zu Gabriella gesagt. Aber Gabriella hatte nur gegrinst und geantwortet: »Red keinen Unsinn, Neri, du bist ja nur sauer, dass sie beim Essen schneller nach dem letzten Stück Fleisch greifen kann als du.«
    Da war etwas dran.
    »Was sind das für Leute?«, fragte Neri Don Lorenzo, als sie zurück nach Ambra fuhren. »Wie gut kennst du sie?«
    »Ziemlich gut. Vor neun Jahren kauften sie die Ruine, restaurierten sie und zogen ganz nach Italien. Sie sprechen mittlerweile sehr gut Italienisch, und wir haben schon so manche Flasche Rotwein zusammen geleert.«
    »Und?«
    »Nichts und. Es sind zwei erfolgreiche Menschen, die nett sind. Richtig nett. Immer freundlich, stets vorsichtig und zurückhaltend, gehen jedem Streit aus dem Weg. Sie bezahlen immer überpünktlich, das hab ich von allen Handwerkern der Umgebung gehört, bei denen arbeitet jeder gern. Und vor sechs Jahren haben sie noch eine kleine Tochter bekommen. Stella. In dem Alter wirklich ein Geschenk Gottes. Die beiden sind einfach Glückskinder. Ich hab die Kleine getauft.«
    »Das hört sich gut an«, meinte Neri und dachte: Gott, was für Langweiler. Harmoniesüchtige Optimisten. Wahrscheinlich Leute, mit denen man nach einer halben Stunde keinen Gesprächsstoff mehr hatte.
    Dennoch versetzte es ihm insgeheim einen Stich. So ungerecht war die Welt. Den einen gelang einfach alles, anderen nichts, sosehr sie sich auch bemühten. Er gehörte zu Letzteren, und immer wenn er daran dachte, war er kurz davor zu verzweifeln.

38
    Es war ein schöner, sonniger Morgen. Noch war es angenehm kühl, in ein, zwei Stunden würde die Hitze erbarmungslos zuschlagen, denn es kündigte sich eine Hitzewelle an, die es in der Toskana ungefähr zweimal pro Saison gab.
    Raffael war sehr früh wach geworden, was ungewöhnlich für ihn war. Aber er war zu aufgeregt, es hielt ihn nicht mehr im Bett, er musste raus auf den Balkon.
    Seine Hauptdarsteller agierten bereits. Er würde jetzt mindestens zwölf Stunden die Gelegenheit haben, seiner Echt-zeit-Doku-Soap, die nur für ihn ablief, zuzuschauen. Und seine Schauspieler ahnten nicht einmal, dass sie die Protagonisten eines grandiosen Dramas waren, das irgendwann Realität werden würde.
    Und da war sie wieder, diese unglaubliche Schönheit mit dem langen dunklen Haar, das sie im Nacken locker zusammengefasst hatte und das ihr dennoch auf dem Rücken bis über die schmale Taille fiel. Eine Frau wie diese hatte er noch nie gesehen. Sie war eine Erscheinung. Eine Göttin.
    Die Göttin stand vor dem Frühstücksraum an die Glasfront gelehnt und rauchte.
    Neben ihr am Tisch saß das kleine Mädchen und malte.
    Christine nahm einen letzten Schluck Kaffee, der nur noch lauwarm war, stellte das schmutzige Geschirr in die Maschine und trat aus dem Turm.
    Ihre Miene verfinsterte sich sofort, als sie Paola sah. Sie lief die Treppe hinunter und ging direkt auf sie zu.
    »Was soll das?«, fragte Christine.
    »Was soll was?« Paola wusste ganz genau, was Christine meinte, aber diese ständigen Zurechtweisungen waren einfach nur nervig: ›Kannst du nicht dafür sorgen, dass Stella nicht mit ihren Sandalen durchs hohe Gras läuft? Du weißt, hier gibt es überall Vipern. Ein Biss, und Stella ist tot.‹ – ›Hast du dafür gesorgt, dass Stella genug trinkt? Bei dieser Hitze ist man sehr schnell dehydriert. Bitte achte darauf, dass Stella niemals allein zum Pool läuft. Wenn sie hineinfällt, ertrinkt sie. Sie kann schließlich noch nicht schwimmen. Ich will nicht, dass Stella da auf der Mauer sitzt! Wenn sie sich nach hinten beugt, fällt sie runter.‹ Und, und, und. So ging das in einem fort. Paola mochte Christine wirklich, aber diese ständigen Wiederholungen konnte sie sich sparen. Und nun kam wieder die Arie mit dem Rauchen.
    »Du weißt, ich möchte nicht, dass du hier im Hof rauchst. Die anderen Angestellten dürfen es auch nicht, Paola, und es ist nicht in Ordnung, dass du dir hier eine Extrawurst brätst. Außerdem: Was macht das für einen Eindruck auf die Gäste?«
    »Im Moment ist keiner hier«, parierte Paola mit gesenktem Blick, sodass die Bemerkung

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