Bewusstlos
es schmerzte. Und bebte vor Anspannung.
Eine Viertelstunde später kam ein großer stattlicher Mann durch ein seitliches Tor und ging auf die beiden zu.
Ja. Ihn erkannte er auch sofort. An seiner Größe und an seinem dichten welligen Haar, das in all den Jahren nur seine Farbe geändert und grau geworden war.
Vater.
Er hatte sich kaum verändert. Jedenfalls nicht so, dass es aus der Entfernung zu erkennen gewesen wäre.
Die Kleine sprang auf und rannte zu ihm. Er war mittlerweile auf die Knie gegangen, und das Mädchen warf sich ihm in die Arme. Er hob sie hoch, küsste sie und drückte sie fest an sich. Vielleicht flüsterte er ihr etwas ins Ohr, jedenfalls lachte die Kleine.
Raffael ließ das Fernglas sinken.
Sie hatten eine Tochter.
Eine neue Tochter.
Sie hatten es gewagt und einfach ein neues Kind gemacht.
Sie waren Verräter.
37
Die heilige Familie. Christine, Karl und ihre kleine Tochter.
Perfekter ging es nicht, und es war absolut werbetauglich: Vater, Mutter, Kind, alle gesund, alle schön und alle glücklich, auf einer herrlichen toskanischen Terrasse, umsäumt von blühendem Oleander und duftendem Rosmarin.
Karl stand auf, ging kurz hinein, um seiner Tochter auch noch ein kleines Eis zu holen, und erntete dafür einen Kuss.
Die Kleine wirkte äußerst vergnügt. Sie saß auf einem Stuhl, hampelte mit den Beinen, die nicht die Erde berührten, in der Luft hin und her und bewegte sich, als hörte sie im Innern Musik.
Karl und Christine sprachen miteinander, und Karl legte seine Hand auf ihre.
Gott, wie süß, dachte Raffael und musste sauer aufstoßen.
Gerade als er hineingehen wollte, sah er, dass ein Carabiniere in Begleitung eines Mannes in Zivil auf den Hof kam.
Das gibt es nicht! Was will denn die Polizei bei meinen Eltern?, dachte Raffael und blieb mit dem Fernglas vor den Augen sitzen.
Karl drehte sich um und rief irgendetwas. Dann gingen er und seine Frau auf die beiden Besucher zu und begrüßten sie per Handschlag.
Sie unterhielten sich vielleicht zwei Minuten. Die Kleine hopste währenddessen auf dem Hof herum.
In diesem Augenblick kam eine wunderschöne junge Italienerin aus der großen Gästeküche, nahm das Mädchen an der Hand und ging mit ihr weg. Wahrscheinlich zum Pool, denn sie gingen in dieselbe Richtung wie die Gäste mit den Handtüchern.
Natürlich. Raffael setzte das Fernglas einen Moment ab. Familie Großkotz hat selbstverständlich ein Kindermädchen für das kleine Püppchen, damit ihm auch nichts Böses geschieht, damit es rund um die Uhr umsorgt und gehegt und gepflegt und bespielt und verwöhnt werden kann.
Die Wut saß ihm wie ein Kloß im Hals.
Er nahm das Fernglas wieder zur Hand.
»Signor Neri plant, eine kleine Familienfeier auszurichten«, begann Don Lorenzo, »und daher möchte er sich das Castelletto einmal ansehen, ob es für ihn infrage käme.«
Neri blickte sich um. Der Hof war geräumig, mit alten Steinen gepflastert und hatte eine sehr einladende und trotz seiner Größe heimelige Atmosphäre.
Wenn man vom Hof ins Land blickte, sah man einen schmalen Weg, gesäumt von Oleander, Rosmarin und Zypressen, der direkt zur etwas tiefer gelegenen Kapelle führte. Im Hintergrund das fantastische Panorama von Wäldern, Olivenhainen und Weinbergen und den Blick auf das kleine mittelalterliche Bergdorf Montesassi.
So schöne Anwesen gibt es auch in der Toskana nicht an jeder Ecke, dachte Neri, Oma wird begeistert sein. Hoffentlich. Wenn nicht, reiße ich ihr den Kopf ab.
»Ich würde vorschlagen, wir machen einen Rundgang und sehen uns alles an«, meinte Christine. »Dann können Sie sich ein Bild machen, ob das Castelletto der richtige Rahmen für Ihre Feier ist.«
Eine halbe Stunde später war Neri davon überzeugt, dass sie es nicht besser hätten treffen können. Der kleinere der beiden Veranstaltungsräume lag im ersten Stock des Seitenflügels, war sehr geschmackvoll im toskanischen Stil eingerichtet und wie geschaffen für ungefähr zwanzig Personen. Durch zwei große Fenster an der Stirnseite sah man direkt hinunter zur Kapelle. Die Kapelle war, wie Don Lorenzo sie beschrieben hatte: sehr schlicht mit nur einem Bild eines modernen Malers über dem Altar, ansonsten einfach winzig. Ideal.
Christine und Neri wurden sich schnell über den Preis für die Feier und über den Termin in wenigen Tagen einig. Neri blutete zwar das Herz, dass er für »Omas Schwachsinn « , wie er es nannte, jetzt auch noch verhältnismäßig tief in die Tasche
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