Bezaubernde Spionin
immer weiter zu schwächen.
Denn falls Aylinn nicht sicher war, ob dieser Plan, London bei Nacht und Nebel zu verlassen, wirklich von ihr, Joan Beaufort und ihrer Freundin Juliet stammte, würde sie sich gegen eine Entführung zur Wehr setzen, weil sie vermutete, dass John von Bedford dahintersteckte.
Juliet konnte sie nicht entsenden, denn Connor McPherson würde niemals akzeptieren, dass sich seine Frau in Gefahr begab. Connor kam ebenfalls nicht infrage, weil die Engländer ihn viel zu gut kannten und ihn zweifellos zu schnell enttarnen würden; außerdem würde Juliet ihr die Hölle heiß machen! Joan lächelte unwillkürlich bei diesem Gedanken.
Nein, es musste verstohlen und mit Aylinns Einwilligung geschehen. Denn Bedford könnte einen fehlgeschlagenen Entführungsversuch natürlich sofort als einen weiteren Beweis für die »Niedertracht« der schottischen Monarchen nutzen, und wer weiß, vielleicht würden ihm die Clanchiefs dann tatsächlich bereitwilliger folgen, als sie es bisher zu tun schienen. Aylinn von Albany genoss durch ihren Namen ein hohes Ansehen unter den Clans. Eben deshalb war es so wichtig, welchen Mann sie zum Gemahl erwählte. Der neue Herzog von Albany würde der mächtigste Mann in Schottland werden, nach dem König. Dem er sich zu beugen hatte. Was er, wie Joan Beaufort hoffte, auch tun würde, wenn alles so lief, wie sie es geplant hatte, und wenn sie sich in dem Charakter des Mannes, dem Aylinn vermutlich ihre Hand und ihren Titel schenken würde, nachdem er ihr Herz längst erobert hatte, nicht getäuscht hatte.
Denn wenn jemand diese stolze und störrische junge Frau überzeugen konnte, von ihrem mit der Königin und Juliet gefassten Plan abzuweichen und nach Schottland zurückzukehren, dann der Mann, den die junge Herzogin ganz offenbar liebte.
Auch wenn das hieß, dass sie, Joan Beaufort, Rupert von Atholl, den Lordkämmerer von Schottland und zukünftigen Lordkanzler, in die Höhle des Löwen schicken musste.
[home]
22. KAPITEL
London, Westminster Palace
A ylinn zuckte zusammen, als das Schloss an der mächtigen Eichentür ihres Gemachs klapperte, und fuhr von ihrem Stuhl hoch. Nanette war doch eben erst gegangen, also war es höchst unwahrscheinlich, dass es die junge Hofdame war, die von den Wachen, die, wie ihr »liebender Onkel« John von Bedford sagte, nur zu ihrer eigenen Sicherheit vor ihrer Tür aufpassten, eingelassen wurde.
Liebender Onkel, pah!, dachte Aylinn, während sie sich straffte und eine stolze Haltung einnahm. Herzog John von Bedford hatte nicht lange gewartet, bis er ihr sein wahres, eiskaltes und bösartiges Gesicht gezeigt hatte. Aylinn hob ihr Kinn, als die Tür aufschwang, und ihre Beklommenheit verwandelte sich in Furcht, als sie den Mann erkannte, der in der offenen Tür stand.
Es war nicht Herzog John, der versuchte, sie erneut einzuschüchtern und zu überreden, freiwillig in eine Ehe mit Baronet Ailsham einzuwilligen. Sie schluckte, versuchte jedoch, so gut sie es vermochte, ihre Gefühle zu unterdrücken. Dennoch konnte sie nicht verhindern, dass sie erzitterte, als sie Richard von York sah.
Der Cousin des Königs hatte bisher keine Gelegenheit ausgelassen, sich ihr zu nähern, und seine Aufdringlichkeit wurde nur von seinen schlechten Manieren und seinem abstoßenden Äußeren übertroffen. Bisher jedoch war es Aylinn gelungen, sich diesen Mann vom Leib zu halten mithilfe von Nanette, die sie keine Sekunde aus den Augen ließ, damit sie mit Richard von York nicht allein war. Einmal hatte er sie sogar im Bad »aufgesucht«, war jedoch zu Aylinns ungeheurer Erleichterung von Rudloff Kersham, ihrem »Leibwächter«, wie Bedford den früheren Henker höhnisch genannt hatte, gerettet worden, der Richard zu einer dringenden Unterredung mit dem Herzog gerufen hatte.
Dieser abstoßende Mann hatte sich überraschenderweise als das Nächste an einem Verbündeten erwiesen, was sie hier am englischen Hofe zu finden hoffen konnte. Der Henker verehrte sie offensichtlich, aber er war viel zu schüchtern, um sich ihr auf dieselbe aufdringliche Art und Weise zu nähern, wie es der Baronet oder Richard von York taten. Und er schien es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, sie zu beschützen, so gut er es vermochte.
Nanette, die sich freier im Palast bewegen konnte als sie, hatte auch bald den Grund dafür herausgefunden. Kersham war zwar dem Herzog treu ergeben, aber er wurde von allen anderen Adligen am Hofe verspottet und verachtet. Der Mann mochte ein
Weitere Kostenlose Bücher