Bezaubernde Spionin
nach starken, mächtigen Männern, die ihnen gewachsen waren. Peter Cunningham war ein starker Mann und zudem einflussreich. Dass sich hinter seiner Stärke ein jähzorniges, brutales Temperament verbarg, merkten diese Frauen zumeist erst, wenn es zu spät war und sie ihm verfallen waren. Und dass sein Einfluss, seine Macht nur einem einzigen Zweck dienten, nämlich ihm, seiner Position, seinem Weiterkommen, koste es, was es wolle, und dass in diesem Plan kein Platz für jemand anderen war, auch das merkten diese Frauen erst, wenn Lord Peter Cunningham ihrer längst überdrüssig geworden war und sie abgelegt hatte, wie man ein Kleidungsstück, dessen man überdrüssig geworden ist, wegwirft oder wegschenkt.
Nein. Cunningham sog scharf die Luft ein, als sich Georgina Harrington ein wenig vorbeugte und das raffiniert geschnittene Kleid ein weiteres Stück ihres makellosen Busens enthüllte, das bis jetzt vor seinem Blick verborgen gewesen war. Die Hitze in seinen Lenden verwandelte sich in scharfes Verlangen, und er spürte, wie ihm die Wärme in die Wangen stieg. Er ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Nein, diese Frau war anders als alle. Er ahnte, dass er niemals genug von ihr bekommen würde, wenn er sie erst einmal gekostet hätte. Und das war es, was ihm Respekt vor ihr einflößte. Respekt? Er knirschte erneut mit den Zähnen, als er sich eingestand, dass Georgina Harrington die erste Frau war, die ihm so etwas wie Furcht einjagte. Dass sie zudem die Mätresse des Herzogs von Bedford war und vermutlich auch mit Richard von York eine Affäre hatte, was ihren kometenhaften Aufstieg am englischen Hof erklärte, das machte Peter Cunningham weniger Sorgen. Viel weniger, als die unbestreitbar verführerische Wirkung, die sie auf ihn hatte.
Und die jetzt schlagartig verpuffte, als er ihr kehliges, spöttisches Lachen hörte.
Sein Blick zuckte von ihrem Dekolleté zu ihrem Gesicht, und die Röte in seinen Wangen vertiefte sich, als er merkte, dass sie ihn beobachtet hatte.
»Gut«, sagte sie mit ihrer melodiösen Stimme und lächelte. »Sehr gut, Lord Peter. Wärt Ihr nicht der, der Ihr seid, fühlte ich mich geschmeichelt.« Ihre Worte wirkten wie ein Kübel mit Eiswasser, das jemand über Cunninghams Kopf ausgegossen hatte.
Georgina Harrington streckte die Hand aus, während sie darauf wartete, dass der englische Gesandte ihr seinen Arm bot. »Wenn schon ein so abgebrühter, eiskalter Intrigant wie Ihr meinen Reizen nicht widerstehen könnt, wie sollte das dann wohl ein junger, unerfahrener Stewart tun, hm?« Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel, bevor sie ihren schwarzen Spitzenfächer mit einer eleganten Drehung ihres Handgelenks auffaltete und ihn unter ihr Kinn legte. »Ich hoffe nur, Cunningham«, ihre Stimme klang plötzlich kalt und schneidend, »dass Ihr Eure Aufgabe mit derselben Hingabe betrachtet wie mein Dekolleté! Und jetzt lasst uns gehen.« Ihr Blick zuckte zu seinen Lenden, und sie hob spöttisch ihre makellosen schwarzen Brauen. »Falls Ihr Euch in der Lage dazu fühlt. Wir wollen den Lordkämmerer nicht warten lassen, nein? Ach ja, und Ihre Majestäten, den schottischen König und seine Gemahlin, ebenfalls nicht, meint Ihr nicht auch?«
*
Das Stimmengemurmel im Thronsaal des königlichen Schlosses von Perth verstummte schlagartig, als der Seneschall vernehmlich mit seinem am unteren Ende mit Eisen verstärkten Amtsstab auf den Granitboden hämmerte.
Sir Rupert sog scharf den Atem ein, als er sich von Sir Archibald Grant abwandte und wie ausnahmslos alle Anwesenden im Thronsaal zur Tür blickte.
»Der Gesandte Seiner Majestät Heinrich IV., des Königs von England und Frankreich, Lord Peter Cunningham. Sowie Lady Georgina Harrington, Gesandte des königlichen englischen Hofes!«
Sein Herzschlag beruhigte sich wieder, wie jedes Mal, nachdem der Seneschall einen Neuankömmling verkündet hatte. Er war froh, dass er sich nach der kurzen Begrüßung des königlichen Paares mit Sir Archibald hatte unterhalten können. Das Gespräch der nach dem König mächtigsten Männer im Reich wagte niemand zu unterbrechen, und Sir Rupert wusste nur zu gut, dass er im Augenblick keinen allzu geistreichen Gesprächspartner abgab. Bei jedem scharfen Klopfen des Amtsstabs hatte sein Herz einen Schlag ausgesetzt, sein Blick war zu dem großen, schweren Portal gezuckt, und er hatte, sehnsüchtig, nach den so vertrauten rötlichen Haaren, der hochgewachsenen Gestalt Ausschau gehalten und war doch
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