Bezaubernde Spionin
musterte. »Ja, wieso fragt Ihr?«
»Ihr seid ganz … ganz blass geworden, Mylady, und dann plötzlich rot angelaufen.«
Aylinn holte tief Luft und warf dann doch einen Blick in den Spiegel, vor dem sie noch immer saß.
Die Hofdame hatte recht. Ihre Wangen waren gerötet, und an ihrem Hals pochte sichtbar eine Ader. Aber das war nicht wichtig. Viel wichtiger war etwas anderes. Die Erkenntnis, die diese Aufregung in ihr auslöste. Das Gefühl, das sich in ihr breitmachte, war kein Schmerz, sondern einfacher, schlichter Zorn. Sie war wütend, wütend auf Sir Rupert von Atholl. Der, kaum dass sie sich nach einer so langen Zeit wiedersahen, nichts Besseres zu tun hatte, als einer anderen Frau schöne Augen zu machen!
Sie kniff die Augen zusammen. Aus irgendeinem Grund regte sie das auf, es regte sie sogar sehr auf. Und gleichzeitig verspürte sie den unwiderstehlichen Drang, dem Anlass für ihre Empörung deutlich zu sagen, was sie von ihm hielt! Und genau das würde sie tun! Und zwar auf der Stelle!
Aylinn sprang so hastig auf, dass Nanette erschrocken aufschrie.
»Rasch, mein Kleid, Nanette. Ich muss noch einmal hinaus.«
»Aber Mylady. Ich habe das Korsett doch gerade …«
»Vergesst das Korsett. Ich streife nur rasch das Kleid über, das genügt. Ich will mit …«, sie stockte, als ihr einfiel, dass es vielleicht keine so gute Idee war, Nanette über ihr Vorhaben zu unterrichten, Sir Rupert von Atholl die Leviten zu lesen. Nanette war immerhin nicht nur Juliet McPhersons Zofe, sondern auch ihre Freundin. Sie würde ganz sicher tratschen, und Aylinn wusste noch nicht genau, wie ihr Vorhaben, diesen Frauenhelden zur Rede zu stellen, endete oder ob Nanette vielleicht flugs zu Juliet eilen und es ihr verraten würde. Die würde dann vielleicht mit der Königin reden, und es gab entweder einen handfesten Skandal, oder aber die Königin käme vielleicht zu dem Schluss, dass sie, Aylinn, für eine so verantwortungsvolle Aufgabe, wie es eine Gesandtschaft nach England war, nicht geeignet wäre. Geschweige denn, dass sie als Spionin für Schottland wirken könnte. Das erforderte schließlich einen kühlen Kopf, und kühl war im Moment so gut wie nichts an Aylinn. Eher im Gegenteil. Der Gedanke, Rupert von Atholl gehörig die Meinung zu sagen, erhitzte sie.
»Mylady?«
Erneut riss Nanettes Stimme sie aus ihren Gedanken, und ihr fiel ein, dass die Zofe ja noch auf eine Antwort wartete. »Ich will mit Juliet McPherson sprechen, Nanette. Ihr wisst, wo sie untergebracht ist?«
»Natürlich, aber …«
»Kein Aber, Nanette!« Aylinns Augen sprühten förmlich Funken. »Sagt mir einfach, in welchem Gemach sie untergebracht ist und«, fuhr sie rasch fort, als Nanette zu ihrer Stola griff, »bemüht Euch nicht. Ich finde den Weg sehr gut allein!«
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10. KAPITEL
E ure Zuversicht in allen Ehren, Mylady, aber haltet Ihr es nicht für ein wenig unschicklich … um nicht zu sagen, ungehörig, zu dieser späten Stunde ohne angemessene Begleitung einen so bedeutenden Mann am schottischen Hofe in seinen Privatgemächern aufzusuchen? Immerhin ist Sir Rupert der Lordkämmerer des schottischen Königs und kein …«, primitiver, triebhafter Stallbursche, hatte Peter Cunningham sagen wollen, jedoch er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden.
»Er ist vor allem ein Mann, Lord Peter, wie Ihr ganz richtig bemerkt habt.« Lady Georgina Harrington drehte sich vor dem Metallspiegel in ihrem Gemach, ein Luxus, den sie wahrlich zu schätzen wusste und der für ihre Art von Diplomatie schlicht unerlässlich war. »Und zweifellos habt Ihr ja ebenfalls bemerkt, wie der bedeutende Lordkämmerer auf meinen Auftritt heute Nachmittag reagiert hat, hm?«
Lord Peter Cunningham nickte etwas säuerlich und stieß ein mürrisches Knurren aus. »Gewiss«, sagte er dann, als er Lady Georginas Blick im Spiegel begegnete. »Er hat Euch mit seinen Blicken förmlich verschlungen, aber immerhin haben Euch so gut wie alle Anwesenden bei Hof angestarrt, und zwar nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen.« Er spielte einen Moment mit dem Gedanken, hinzuzufügen, dass der Blick von Sir Rupert von Atholl aber nicht unbedingt so rückhaltlos bewundernd und lüstern gewesen war wie die Blicke der anderen Männer, einschließlich seines eigenen, wie er zu seinem Bedauern zugeben musste. Bei diesem Gedanken wuchs Lord Cunninghams Groll auf diese Frau erneut. Er hatte sie zwar durchschaut, aber dennoch konnte er nichts gegen ihre Wirkung auf ihn
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