Beziehungskiller: Kriminalroman (German Edition)
nieseln.
Als wir
in Mistelbach angekommen waren, hatte ich kaum eine Fahrkarte gekauft, als
schon der Zug nach Wien einfuhr. Die Tropfen fielen schwer zu Boden. So früh am
Morgen, noch dazu an einem Montag, hätte ich jede Menge Pendler erwartet. Aber der
Zug war nahezu leer. Ich suchte mir eine Bank, setzte mich, kramte den Cäsar
raus und begann zu lesen. Gemütlich ruckelnd ließ ich den Mordfall Duvenbeck
und den Regen hinter mir zurück.
Kapitel 3
I
Mit den ÖBB durchs Weinviertel,
das ist eine feine Sache. Im Zeitalter der Düsenjets und Genmanipulation hält
man es fast nicht für möglich, dass sich der Charme des 19. Jahrhunderts noch
irgendwo erhalten hat. Aber in den alten Garnituren, die von Mistelbach nach
Meidling fahren, vergeht die Zeit noch so langsam wie vor 200 Jahren. Ich
konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass, wenn ich dann in Wien
angekommen sein sollte, alle meine Bekannten Greise und die Werbeflächen mit
chinesischen Schriftzeichen bedruckt sein würden. So in der Art eines der Science-Fiction-Romane
der Sechziger, nur eben umgekehrt.
An
einem der unzähligen kleinen Bahnhöfe im Nirgendwo stieg ein Fahrgast zu. Der
adrett gekleidete Schaffner und ich gerieten in Ekstase. Bei mir äußerte diese
sich dahingehend, dass ich den Cäsar ein wenig sinken ließ, um über den
Buchrand zu linsen. Beim Schaffner manifestierte sich die Aufregung dergestalt,
dass er seinen Platz an einer der Türen verließ, um dem Mann entgegenzueilen.
Dabei fiel ihm sein elektronisches Gerät, das zum Ausdrucken von Fahrkarten und
dergleichen Verwendung findet, zweimal zu Boden. Schließlich stolperte er auch
noch über seine eigenen Beine, aber endlich kam er vor dem Fahrgast zu stehen.
Beide Männer schwankten wie Betrunkene und mussten sich an den Sitzen
festhalten. Der Schienenstrang ist dermaßen ausgefahren, dass die letzte
Sanierung in den Tagen von Königgrätz stattgefunden haben muss. Alle paar
Minuten steht zu befürchten, dass der Regionalzug aus den Gleisen springt. Das
Ganze vermittelt schon fast ein post-kolonial afrikanisches Eisenbahngefühl.
Auf
jeden Fall standen sich die beiden Männer gegenüber und versuchten krampfhaft,
nicht umzufallen. Dabei wurde diskutiert. Um zu verstehen, was gesprochen
wurde, waren sie allerdings zu weit weg und der Zug zu laut. Schließlich kramte
der Fahrgast etwas aus seinem dunkelblauen Anorak, das ich nicht sehen konnte.
Worauf der Schaffner nickte und ihn vorbeiließ.
Der
Fahrgast war etwa 1,85 groß, mit gerötetem Gesicht und einem ordentlichen Wohlstandsbäuchlein
ausgestattet. Er ruderte mit den Armen, an denen bemerkenswert große Hände
saßen, während er immer weiter auf mich zukam. Ich meinerseits verschanzte mich
hinter dem Buch und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich der
Vorgang interessierte. Schließlich kam er an meiner Bank an, schnaufte kurz
durch die Nase und ließ sich mir gegenüber in die Sitzpolster fallen. Ich tat
weiter so, als ob ich lesen würde. Er machte kein Hehl aus seinem Interesse und
beäugte mich von oben bis unten. So verging etwa eine Viertelstunde, ein
weiterer Bahnhof strich vorbei, aber niemand stieg zu. Schließlich räusperte
sich der Mann.
»Linder,
Arno, das sind doch Sie?«, fragte er mich.
»Doch,
schon. Manchmal jedenfalls«, antwortete ich und las weiter, ohne sonst auch nur
im Geringsten zu reagieren.
»Woher
kommen Sie?«
»Mistelbach.«
»Wohin
fahren Sie?«
»Meidling.«
»Mit
welchana Absicht?«
Der
Mann sprach den weichen Dialekt des Mittelstandes, der länger in Wien lebt.
Seine ›a‹s waren den weiten Weg Richtung ›o‹ beinahe bis zum Schluss gegangen.
Nur bei einzelnen Worten oder Satzteilen, die streng dienstlich Verwendung
fanden, ähnelte sein Sprachbild dem hochdeutschen Standard. Ursprünglich mochte
er wohl aus dem Waldviertel stammen.
»Heimkommen.«
»Und
sunst?«
»Hm?«
»Wenn
S’ zum Lesen aufhören täten, kamat’ma schneller voran.«
Ich
klappte das Buch zu.
»Ich
sitze hier im Regionalzug, weil ich heimfahren will, und nicht, weil ich
Unterhaltung suche. Vielleicht bemühen Sie sich bei einem der anderen
Fahrgäste.«
»Geht
net.«
»Wieso?«
»Wal
kane da san.«
»Schade.
Vielleicht steigt ja noch wer zu.«
»Wuilln
S’ denn gar net wissen, warum i da bin?«
»Nein.
Auch mein Wissensdurst kennt Grenzen.«
»Ich
red Sie mit Ihrem Namen an und Sie wuilln net amal wissen, woher i des waß?«
»So wie
ich Sie einschätze, werden Sie mir
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