Beziehungskiller: Kriminalroman (German Edition)
gekleidet, trug das Haar kurz und schien recht kaltblütig
zu sein. Sonst hätte sie Gütkens nicht vor Gerhard in Schutz genommen, um ihn
gleichzeitig bloßzustellen.
Alle
waren aufs Spiel gespannt, deswegen verebbte das Gespräch recht schnell. Alfred
loste die Sitzreihenfolge aus, Bert machte den Dealer, und als alle saßen, zog
sich Alfred mit einem Buch in der Hand an einen der frei herumstehenden Tische
zurück. Er begann, konzentriert zu lesen. Schöner, dunkelroter Leineneinband,
Dünndruck, aber den Titel konnte ich beim besten Willen nicht lesen. Ich
wendete meine Aufmerksamkeit dem Tisch und den Personen zu, die an ihm saßen.
Auf dem
besten Platz, als Letzter in der Reihenfolge, saß der Mann, den ich erst gar
nicht hereingelassen hätte. Dunkle Haare, harte Gesichtszüge, ein schwarzes
Hemd, einen silbernen Totenkopf an einer Kette um den Hals hängend. Er sprach
nicht viel, aber der Akzent war mir fremd. Der Mann musste einer der Rumänen
sein, die in den letzten Jahren die Prostitution am und um den Gürtel in die
Hand genommen hatten. Rumäne wegen der Sprache und Zuhälter wegen der Kleidung.
Das schwarze Hemd allein mochte 800 Euro gekostet haben.
Der Typ
war mir nicht geheuer. Das hatte nichts mit dem Totenkopf oder der schwarzen
Kleidung zu tun. Auch nicht mit der beindruckenden Messernarbe, bei der ich mir
nicht vorstellen konnte, wie er die Wunde damals überlebt haben konnte. Ich
glaube, es waren auch nicht die harten Linien um den Mund, die schon ausgeprägt
waren, obwohl der Mann sicher noch nicht über Mitte 20 hinaus war.
Schlussendlich werden es wohl die Augen gewesen sein, vor denen ich Angst
hatte. Kalte, schöne, meergraue Augen. Diese Augen hatten schon Menschen
sterben sehen.
Gütkens
saß neben mir, ich war Zweiter, Gütkens Dritter in der Reihenfolge. Eher
schlechte Plätze, aber damit muss man leben. Die Frau mit den kurzen Haaren war
Erste, sie hatte noch mehr Pech gehabt als wir. Der Mann, den sie als Gerhard
angesprochen hatte, saß als Vorletzter neben dem Rumänen. Er fühlte sich dort
sichtlich unwohl.
Zwischen
Gütkens und Glatzengerhard saßen zwei weitere Gäste. Der eine war vermutlich
Student, einer von den Typen, die mal eine echte Pokerrunde erleben wollen. Er
hatte große Augen und war enorm aufgeregt. Wo der das Geld für den Abend
hergenommen hatte, war mir unklar.
Neben
ihm saß ein Mann im grauen Flanelldreiteiler. Seinen Hut und den dunklen Mantel
hatte er draußen an der Garderobe aufgehängt. Er trug eine goldene Uhr, eine
goldene Krawattennadel und hatte ein goldenes Feuerzeug. Irgendwo hinten im
Mund würden sicher wohl auch ein paar goldene Zähne blitzen.
Bert
riss ein Paket Karten auf, entfernte die Deckblätter und begann zu mischen. Die
steifen, ungespielten Karten knackten und klackten, sie glänzten im
elektrischen Licht, ihre scharfen Kanten kratzten über den Filz, und
schließlich flogen sie zischend durch die Luft. Alfred warf jedem die Karten
vor die Nase und das Spiel begann.
IX
Wir spielten Texas Hold’em,
eine der Varianten, die sich momentan der größten Beliebtheit erfreuen. Jeder
Spieler erhält zwei Karten, die nur er kennt. Dazu kommen noch fünf Karten, die
für alle sichtbar offen aufgelegt werden. Das höchste Blatt aus den
öffentlichen fünf und den privaten zwei gewinnt.
Was das
Spiel mit allen anderen Pokervarianten gemein hat, ist die Tatsache, dass der
beste Spieler nicht derjenige ist, der mit größter Häufigkeit die besten Karten
in der Hand hält, sondern der, der auf die Gewinnaussicht seiner Karten am
besten zu wetten versteht.
Wohli
hatte immer gemeint, dass es einen guten Mann auszeichnet, dass er seine
Chancen einzuschätzen versteht. Egal ob er ein Auto kauft, ein Haus,
Wertpapiere oder eben Pokerhände. Der mit der besten Sachkenntnis, dem
schärfsten Verstand und den härtesten Nerven gewinnt, sowohl im Leben als auch
am Spieltisch.
Fast so
wie an der Börse: Es gewinnt nicht der mit der größten Firma, sondern der, der
am billigsten kauft und am teuersten verkauft. Mathematisch ausgedrückt ist der
Gewinn einer Pokerpartie eine Funktion aus der Häufigkeit der Kartenbilder,
deren Verhältnis zu den bereits gesetzten Beträgen, dem eigenen Guthaben und
dem zu erwartenden Gewinn. De facto werden solche Partien zumeist nicht entschieden,
wenn Straight Flush auf vier Asse trifft, sondern in der Masse durch ein
Pärchen oder sogar nur durch die höchste Karte.
Einige
Jahre meines Lebens hatte ich in
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