Beziehungskiller: Kriminalroman (German Edition)
die
erste Euphorie nachließ, blickte ich mich um. Der ganze Innenraum des Häuschens
bestand aus einem Raum, ein paar kleine Träger stützten den Dachraum, zu dem
auch eine Hühnerleiter emporführte. Kein Zweifel, dort oben würden zwei Betten
zu finden sein. Unten war alles den Bedürfnissen zweier Chocolatiers im
Wochenende untergeordnet. Es gab Kühlschränke, ein mischmaschinenähnliches
Gerät, eine Presse, ein paar Ablagen und jede Menge Töpfe mit Korkstöpseln als
Deckel in allen Größen. Von Fingerhut- bis Wassermelonengröße. Im Unterschied
zu den Räumlichkeiten in der Mollardgasse, wo alles blitzblank stahlglänzend
und modern gewesen war, wirkte hier alles alt, gediegen und mit Gebrauchspatina
überzogen.
Ftacek
bemerkte meinen Blick.
»Des
san die Erbstücke, die ma herausgschafft ham, wia ma die Firma in die Achtziger
umgsiedelt und modernisiert ham. Zum Tüfteln und Ausprobiern am Wochenend san
sie nach wie vor super.« Er strich über die verschlungen Ornamente an der
Kakaopresse, einen verträumten Gesichtsausdruck zeigend. »Des woa amol. Jetzt
ham’s den Poldl. De Gfraster.«
»Wissen
Sie, wer?«
»Glauben
S’ net, dass i des scho der Polizei gsagt hätt, wenn i des wissat?«
»Die
Polizei glaubt, dass Sie beide entführt wurden«, merkte ich an. Laura nickte.
»Warum
verstecken Sie sich hier?«, fragte Laura.
»Wal,
…« er zögerte. »Wie ham S’ mi eigentlich gfunden?«
»Ja,
Laura«, kam ich Ftacek zu Hilfe, »wie haben wir ihn eigentlich gefunden?«
Laura
holte tief Luft und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Vor ihr stand auf dem
groben Holztisch einer der weißen Töpfe, mittelgroß und ohne Stöpsel. Laura
steckte den Finger hinein. Auf der Spitze fand sich eine dunkelbraun glänzende
Masse, als er wieder zum Vorschein kam. Sie schleckte den Finger genüsslich ab.
»Darf
ich auch?«, fragte ich.
»Sicher,
Tschoklad’ is zum Essen da.« Er breitete die Arme in einer einladenden Geste
aus. Ich schnappte mir einen Stuhl, setzte mich neben Laura und tauchte
ebenfalls meinen Finger ein. Die Masse drinnen war warm, geschmeidig und
schmeckte traumhaft.
»Wenn i
traurig bin, mach i ma immer a so ane. Poldl und i ham die als Kinder immer
gessen.«
»Mhmmm«,
machte Laura. »Haben Sie die fertige Masse geschmolzen?«
»Die
ist frisch.«
»Frisch?«
»Kummt
direkt aus der Conche. Deswegen is sie no warm.« Er fuhr ebenfalls mit dem
Finger hinein.
»So
eine Schokolade habe ich noch nie gegessen. Sie ist so, hm, fettig?«
»Viel
Kakaobutter«, klärte mich Laura auf.
»Genau.
Der Gschmackn liegt nur in der Fettn.«
»Die Masse
kommt geschmolzen aus der Conche?«
»Genau.«
»Wie?
Ich seh keine Kabel.«
»Wenn
S’ genau hinschaun, sehns dafür a Kurbel.«
»Wie
schmilzt man Schokolade mit einer Kurbel?«
»Indem
mas dreht.«
Laura
und ich schauten uns verständnislos an.
»Aber
…«
»Nix
aber. Nur schlechte Tschoklad wird kalorisch gschmolzen. Dann wird’s sauer und
bitter. Jeder Chocolatier, der was auf si hoit, der schmülzt sei Tschoklad nur
durch Reibung. Dauert sei Zeit, aber dafir is der Gschmackn ganz a anderer.«
»Sie
kurbeln händisch?«
»Nur
bei der alten Maschin’. In der Firma hamma a klans Motorl laufen, des was uns
hilft. Stufenlos regelbar, a guate Sach’. Aber da heraust, da mach’mas auf die
alte Art, der Poldl und i. A echter Chocolatier hat Oberarm wia a Möbelpacker,
a Nasn wia a Trüffelsau und a Wampn wia a Bierkutscher.«
»Sie
sind aber ziemlich mager.«
»I waas
ah, der Poldl hat die Wampn geerbt, i net. A Chocolatier, der was ausschaut wia
a zaundünner Hering, des is a Schand’!« Er fuhr mit dem Finger nochmals in die
Keramik und schaute traurig zum Fenster hinaus, während er den Finger
abschleckte.
Nach
ein paar wehmütigen Augenblicken kehrte Ftacek zu uns zurück. »Sie schaun
furchtbar aus«, meinte er zu mir. »Des Hemad bluatig, kane Schuah an die Füß’,
alles zerknittert. San Sie obdachlos?«
»Nein,
derzeit nur ein wenig vom Schicksal gebeutelt.«
Die
Schokolade hatte mir zwar gut geschmeckt, aber mir war immer noch flau im Magen
und konzentrieren konnte ich mich auch schlecht. Der Kopfschmerz hatte wohl ein
wenig nachgelassen, war aber immer noch da. Wenn ich so aussah, wie ich mich
fühlte, dann konnte ich Ftaceks Entsetzen über mein Äußeres gut verstehen.
Außerdem war ich müde. Sehr müde. Unendlich müde. Es kostete mich zusehends
mehr und mehr Mühe, die Augen offen zu halten. Außerdem schien
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