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Beziehungswaise Roman

Beziehungswaise Roman

Titel: Beziehungswaise Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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den folgenden Film. Ich warte, dass sie etwas sagt oder noch etwas fragt, aber ... nichts. Tess ruft wieder an. Sie hat einen Tag vorgezogen und kommt bereits morgen Nachmittag, einen Tag früher, dafür muss sie einen Tag früher zurück, aber sie wollte mich so schnell wie möglich sehen. Gut? Sie gibt ihre Ankunftszeit durch, küsst, wünscht mir eine gute Nacht und sagt: bis morgen. Danach kann ich mich nicht mehr auf den Film konzentrieren. Ich gehe ins Esszimmer und bereite das Bett auf dem Teppich vor. Dann haue ich mich hin und blättere in der Bibel. Ich finde nicht die Stelle, in der steht, wie man einen kranken Vater dazu bringt, über seine Krankheit zu reden. Das Angebot geht über erschlagen, ertränken, steinigen und enthaupten zu von wilden Tieren zerfleischen, verhungern, verdursten, verbrennen, verdammen, verbannen, zu Stein erstarren lassen, aber das alles erscheint mir übertrieben.
    Irgendwann geht der Fernseher drüben aus, dann erlöschen die Lichter, und Sune kommt rüber. Sie zieht sich bis auf ihre altbackene Allzweckunterwäsche aus, rutscht unter die Decke, stützt sich auf einen Ellbogen und mustert mich.
    »Du liest schon wieder in der Bibel.«
    Ich zucke die Schultern.
    »Warum auch nicht? Sie war Brechts Lieblingslektüre, Gandhi lobte sie, Galilei schwärmte davon ... Außerdem stehe ich auf Gewalt.« Ich blättere behutsam eine der in Blattgold eingefassten Seiten um. »Schau nur, Tausende Tote in einer einzigen Szene, da kann Hollywood einpacken. Brudermord, Inzest, Verrat, Völkermord, Vergewaltigung und Folter, müsste eigentlich auf den Index, das Ding.«
    Sie schaut mich seltsam an, dann wünscht sie mir eine gute Nacht, dreht sich um, drückt sich in die Decken und rückt nach hinten, bis ihr Körper an meiner Seite liegt. Ich richtedie Lampe neu aus, um sie nicht beim Einschlafen zu stören, und lese Seite um Seite. Schon beim Umblättern habe ich das Gelesene vergessen. Als Sunes Atemzüge tief und regelmäßig werden, schiebe ich das Buch so weit weg, dass ich es nicht im Schlaf beschädigen kann, und knipse die Lampe aus. Draußen funkeln die Sterne. Fars Gesichtsausdruck steht wie gemeißelt vor meinen Augen. Seinen Vater zum ersten Mal mit Angst zu sehen ist auch für einen Erwachsenen falsch. Einfach falsch. Ich liege da mit einem Scheißgefühl und werde es nicht los, kann nicht einschlafen, kann das Bild nicht vergessen. Wie gern würde ich jetzt raus in die Halle gehen und einen Film mit meiner WG anschauen. Aber Deutschland ist so weit weg wie mein dortiges Leben. Herrje, nächsten Montag soll ich in Köln auf die Bühne gehen und Lustigkram machen. Die Vorstellung, mich jetzt mit so etwas zu beschäftigen, ist so bizarr. Diese verschiedenen Leben ... Dänemark, Deutschland, Familie hier, Freunde dort, mein Leben mit Tess, mein Leben ohne sie, mein Leben im Job – Tess war immer die Verbindung zwischen allen Teilen, sie kannte mein ganzes Leben, alle anderen kennen nur Ausschnitte. Das vermisse ich am meisten. Jemand, der immer da ist und über alles Bescheid weiß. Und jetzt China ... Mein Herz sackt ab, als würde ich Achterbahn fahren. Ich habe Tess schon so geliebt, dass ich mir sicher war, ich würde sterben, wenn ich sie verlöre. Aber nach Jahren der Distanzierung habe ich mich damit abgefunden, dass sich alles verändert. Ich habe mich damit abgefunden, dass sie mit einem anderen schläft. Ich habe eingesehen, dass wir uns trennen müssen. Aber China? Ich will das nicht. Ach, was hätten wir für ein schönes Leben, wenn wir blöder wären. Wenn ich aus dem Bodybuildingstudio nach Hause käme und sie vom Friseur, würde ich sie durchpoppen wie eine weitere Sporteinheit, und dann würden wir uns vor die Glotze hängen und fernsehen.Das wäre toll. Ja. Vielleicht kann ich sie am Wochenende ja einfach mal flachlegen, jetzt wo meine Blockade gesprengt ist. Aber würde das viel ändern? Kann man die Uhr zurückvögeln? Und würde es überhaupt klappen? Kann ich den Schalter umlegen und sie als Frau sehen statt als Freundin? Und warum ist der Unterschied so groß? Oder denke ich einfach zu viel? Muss ich lernen, weniger zu denken? Dumm fickt gut? Schlau fickt gar nicht, kann es aber erklären? Gott, wir hätten einfach sofort auf Drogen poppen sollen, als wir merkten, dass wir uns anfreunden. Nach einem Haiangriff soll man ja sofort wieder ins Wasser gehen. Wir blieben an Land.

 
Kapitel 26
    Helles Licht. Warmer Körper neben mir. Rauer Untergrund. Sune

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