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Beziehungswaise Roman

Beziehungswaise Roman

Titel: Beziehungswaise Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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nicht.«
    »Deinetwegen.«
    Ich schaue aus dem Fenster. Gegenüber hängt ein Opa im offenen Fenster und raucht eine Zigarre. Dick vermummt gegen die Kälte. Sein Atem konkurriert mit dem Zigarrenqualm.
    »Bist du noch dran?«
    Ich nicke.
    »Liebster?«
    »Ja. «
    »Möchtest du das?«
    »Ja. «
    »Holst du mich vom Flughafen ab?«
    Ich sage Ja. Sie sagt, sie müsse Schluss machen und fragt diesmal wieder, wer mich liebe. Ich sage, sie. Sie sagt Ja und unterbricht. Ich brauche zwei Versuche, um den Hörer auf die Gabel zu legen. Ich atme ein paarmal durch. Dann gehe ich rüber und sage, dass Tess Samstag kommt, und falls sich noch einige Spannungsreste an den Ecken des Raumes festgeklammert haben, so werden sie von dieser Nachricht wegkatapultiert. Far beginnt sofort, Kuppelszenarienauszumalen. Wieder bin ich kurz davor, es ihm zu sagen, einfach nur, um ihn zum Schweigen zu bringen. Stattdessen nehme ich mir vor, Tess daran zu erinnern, dass wir nördlich der Elbe immer noch zusammen sind. Örtliche Beziehung.
     
    Als Sune abends von der Arbeit kommt, habe ich zum ersten Mal seit Jahren einen ganzen Wintertag mit Ebba und Far verbracht, ohne dass Weihnachten war. Schön ist das. Ich habe ganz vergessen, wie schön. Die beiden sind einfach Zucker, und auch wenn Far nicht in Topform ist, so albern wir viel rum, bevor er sich nachmittags wieder hinlegt. Ich lasse mich für den Haushalt einspannen, helfe Gardinen zu waschen, bringe Altglas weg, und als ich wiederkomme, putzt Ebba die Küche. Sie sieht so müde aus, dass ich sie gegen ihren Willen zu ihrem Sessel bringe und sie sanft hineindrücke. Sie wehrt sich nicht wirklich, sondern lehnt sich seufzend zurück und schaut zu, wie ich ihr die Tasse fülle, dann nimmt sie sich die Tageszeitung. Als ich das Zimmer verlasse, tut sie, als würde sie lesen, schließt aber bereits die Augen, bevor ich ganz draußen bin. Die Alten werden alt. Sind sie schon mein Leben lang, aber jetzt werden sie es wirklich. Wenn ich nicht so weit weg wohnen würde, könnte ich ihnen mehr helfen. Ihnen einen Teil zurückgeben. Aber so ist das mit Kids. Erst gibst du ihnen die besten Jahre deines Lebens, dann hauen sie ab ins eigene.
    Gegen Ebbas Veto bereitet Sune das Abendessen vor, ich decke den Tisch und lasse mir von Ebba erklären, wie man Kreuzworträtsel am schnellstens enträtselt. Scheint eine gute Übung fürs Gedächtnis zu sein, denn ihres ist erstklassig, wie ich wieder merke, als sie mich daran erinnert, wie mein erster Schulfreund hieß.
    Far kommt. Er wirkt immer noch müde, glänzt aber mitweiteren schlechten Witzen und besseren Allen-Zitaten. Für eine Stunde wirkt alles normal. Erst als er sich direkt nach dem Essen wieder hinlegt und seine geliebten Die Zwei verpasst, werden wir wieder daran erinnert, dass nicht alles im Gleichgewicht ist, doch wir machen weiter, als sei nichts. Ebba setzt sich vor den Fernseher und zieht sich ihr Quiz rein, wir waschen ab. Anschließend setzen wir uns zu Ebba und schauen Nachrichten. Was würde ich jetzt dafür geben, wenn Arne und Frauke hier wären und sich über irgendeinen Mist streiten würden. Anreize hätten sie genug, denn die dänischen Nachrichten sind wie die deutschen – Angst verbreiten und zum Schluss das Wetter. Doch eine Sache relativiert: Am Ende darf ein Kind dreißig Sekunden von seinem Tag erzählen. Nach Terror, Weltwirtschaft und Busunfällen wird es plötzlich ein paar Welten kleiner, aber ebenso ernsthaft. Ein Kindergeburtstag von Alissa, einer zahnlückigen Siebenjährigen. Ein gewisser Henrik war auch eingeladen. Er geht auf ihre Schule. Und er hat eine Brille. Und er hat sie an den Haaren gezogen, und das war doof. In weniger als dreißig Sekunden schildert sie uns haarklein diesen Höhepunkt ihres Tages, ohne zwischendurch Luft zu holen. Auf die abschließende Frage, ob sie Henrik später mal heiraten wird, senkt sie den Blick und kichert zum Niederknien süß. Herrje, das sind die Nachrichten, die man braucht. Aber das kann ich ja leicht behaupten, weil ich nicht verhungere. Weil ich Trinkwasser habe. Weil ich kein HIV habe. Weil ich nicht gefoltert werde. Weil meine Schwester nicht vor meinen Augen vergewaltigt und geköpft wurde. Weil in meiner Stadt keine Raketen einschlagen. Weil meine Verwandten weder sich selbst noch andere in die Luft sprengen. In unserem demokratischen Paradies will ich einfach nur öfter Kinder kichern hören. Europa ist Standortvorteil.
    Ebba geht ins Bett. Sune und ich schauen noch

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