Beziehungswaise Roman
jeder muss sein eigenes meistern, und mein heutiges ist es, nach Hause zu gehen und meinem Vater zu sagen, dass ein desinteressierter Arzt ihm noch circa ein Jahr gibt.
Tess presst sich an mich. Ihr Körper zittert. Kann der Wind sein.
»Vielleicht ist es falscher Alarm«, flüstert sie.
Ich ziehe die eisige Luft in die Lunge. Genau. Doch das erfahren wir erst, wenn er sich untersuchen lässt. Aber er lässt sich nicht untersuchen.
Wir gehen die Allee wieder herunter. Ein düsteres Schweigen hängt zwischen uns. Die Kälte durchdringt nach und nach die Kleidung, doch es ist gut, Tess neben mir zu spüren. Endlich ist sie da, wenn ich sie brauche. Nein, kein Vorwurf. Nur Freude. Diesen Augenblick nehme ich mit.
Der Augenblick zerbirst, als wir in den Thyregodsvej einbiegen. Vor Haus Nummer 24 steht ein Notarztwagen. Wir laufen los.
Kapitel 29
Das Schlafzimmer ist überfüllt. Neben der Tür stehen zwei gelangweilte Sanitäter und warten auf Einsatzkommandos. Neben dem Bett steht eine scharfäugige, zivile Notärztin um die fünfzig. Neben ihr steht Ebba. Sune hat sich vor dem Bett aufgebaut, in dem Far liegt, und schaut von einem zum anderen. Er scheint fit zu sein. Ich atme erleichtert auf. Er wendet mir seinen Kopf zu und verzieht das Gesicht.
»Ich war auf der Toilette und bin ausgerutscht. Jetzt wollen sie die Gelegenheit nutzen, um meine Organe zu verhökern, aber ich gehe nicht wieder ins Krankenhaus.« »Wieder«, sagt die Notärztin.
Far macht ein ertapptes Gesicht und lenkt gleich ab. »Jesses, ich bin auf dem verdammten Vorleger ausgerutscht!«
Die Notärztin deutet auf das Pflaster über seinem Auge. »Und nicht zum ersten Mal, oder? Also, weswegen warst du im Krankenhaus?«
Far schaut an die Decke, die Notärztin in die Runde, niemand antwortet, sie wartet ruhig. Toll, endlich ein Arzt, der den Job ernst nimmt.
»Er hatte einen kleinen Schwächeanfall«, sagt Ebba endlich.
»Deswegen waren wir schon im Krankenhaus, und die haben ihn wieder nach Hause geschickt«, ergänze ich.
Die Notärztin schaut mich an.
»Welches Krankenhaus war das?«
»Rigshospitalet.«
»Welcher Arzt?«
»Hat sich nicht vorgestellt.«
»Diagnose?«
Ich zögere kurz. Ebba schüttelt unmerklich den Kopf. »Wissen wir noch nicht. Wir warten auf die Werte, und die Wartezeit können wir ebenso gut hier verbringen, statt ein Krankenbett zu belegen.«
Far nickt.
»Fischers Fritz fischt frische Fische! Die Katze tritt die Treppe krumm! Rødgrød med fløde! Ich bin topfit!«
Die Notärztin nimmt die Tablettenschachtel vom Nachttisch und mustert sie.
»Und was ist das?«
»Schmerztabletten«, sagt Far unschuldig.
»Wogegen?«
»Schmerzen.«
Die Notärztin mustert ihn. Der Spruch kommt bei ihr genauso schlecht an.
»Diese Tabletten sind sehr stark.«
Niemand sagt etwas. Sie schaut Ebba an.
»Wer solche Schmerzen hat, sollte den Grund dafür wissen. «
Ebba atmet tief ein und aus.
»Das Krankenhaus wirkte ein bisschen voll, als wir da waren. Wir wollten nicht ein Bett wegen einer Prellung belegen, daher warten wir lieber hier auf die Werte.«
Sie mustern sich. Irgendwas passiert ihnen. Schließlich seufzt die Notärztin und lässt ihren Blick über Sune, mich und Tess gleiten, bevor sie ihn wieder auf Ebba heftet. »Wenn hier noch mal was passiert ...«
»Dann bringen wir ihn sofort ins Krankenhaus«, sagt Ebba.
Die Notärztin mustert uns zweifelnd und wirft einen letzten Blick in die Runde, dann geht sie raus. Die beiden Sanitäter folgen ihr. Sune begleitet sie. Kaum klappt draußen die Wohnungstür zu, schaut Far Ebba entrüstet an.
»Sofort ins Krankenhaus??«
»Wie wäre es mit Danke für einen Haufen Notlügen?«, sagt sie.
Doch er beginnt eine Anne-Frank-Nummer abzuziehen, Verrat und Auslieferung pur. Sune kommt wieder rein und unterbricht ihn.
»Also, du bist wieder umgekippt ...«
»Ausgerutscht!«, regt er sich auf. »Verdammter Vorleger! Ich wollte das Ding schon vor Jahren wegschmeißen, aber Ebba liebt ihn. Das sind die Kompromisse in einer Beziehung, kann ich euch sagen, jesses!«
Ebba schaut ihn nur an. Ich räuspere mich.
»Apropos Krankenhaus ...«, beginne ich.
Doch Fars Blick ruht immer noch in Ebbas.
»Lasst mich mal kurz mit meiner Geliebten allein«, sagt er, ohne uns anzuschauen.
Ich werfe Sune einen Blick zu. Dann nehme ich Tess’ Hand. Wir gehen ins Esszimmer und setzen uns an den Kaffeetisch. Sune holt eine neue Kanne, und Tess, die nicht alles verstanden hat, will
Weitere Kostenlose Bücher