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Beziehungswaise Roman

Beziehungswaise Roman

Titel: Beziehungswaise Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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wissen, was los ist. Ich erzähle es ihr länger und ausführlicher als nötig. Sune füllt die Tassen und wirft mir einen Blick zu.
    »Was haben die Ärzte gesagt?«
    Ich zögere. Tess drückt verstohlen meine Hand.
    »Krebs. Magen und Darm. Fortgeschritten. Vielleicht Probleme mit der Leber. Sie ... sie wollen ihn noch mal untersuchen.«
    Sunes Mund öffnet sich ein Stück. Dann schließt sie ihn wieder und schaut auf ihre Hände, die auf dem Tisch liegen. Sie sagt erst mal nichts, nimmt es hin und denkt nach.
    »Liebster, du tust mir weh«, flüstert Tess.
    Ich merke, dass ich ihre Hand zusammenpresse, und lockere meinen Griff. Sune sitzt mit gesenktem Kopf da und denkt nach, beide Hände jetzt zwischen ihre Knie geklemmt, ruckelt sie leicht vor und zurück.
    Als ich meine zweite Tasse leere, öffnet sich die Schlafzimmertür. Ebba kommt ins Esszimmer und schaut uns an. »Antreten zum Appell«, sagt sie und lächelt uns so mitfühlend an, dass mir die Luft wegbleibt.
    Tess drückt meine Hand. Sune und ich stehen auf und gehen ins Schlafzimmer. Far sitzt im Bett und erwartet uns. Wir setzen uns je zu einer Seite des Bettes.
    »Du willst uns was sagen?«, fragt Sune kleinlaut.
    So habe ich ihre Stimme nicht mehr gehört, seitdem sie als Kind beim Scheißebauen erwischt wurde. Far mustert uns abwechselnd, dabei werden seine Gesichtszüge so zärtlich und freundlich, dass ich mir auf die Lippe beißen muss. »Ich wollte euch sagen, dass ich stolz auf euch bin und dass ich euch beide sehr liebe.«
    Sune atmet hörbar ein. Mir schießen die Tränen in die Augen. Ich schaue zur Decke, dann zu Boden.
    »Ihr erinnert euch sicher an unsere Gespräche über den Tod, ja?«
    Auch ohne hinzuschauen, weiß ich, dass Sune ebenfalls nickt. Als könnten Kinder vergessen, wenn ihr Vater ihnen erklärt, dass wir eines Tages alle sterben werden. Die ersten Male haben wir geweint. Doch er war nach den Gesprächen ja immer noch da. Schon bald hatten wir akzeptiert, dass wir eines Tages eben sterben, na und? Wenn Far darüber Witze macht, kann es ja nicht so schlimm sein, oder? Ich wünschte, ich wäre wieder fünf.
    »Ich habe von Anfang an versucht, euch zur Wahrheit zu erziehen. Ich war nie streng mit euch, außer wenn ihr gelogen habt. Wir waren immer ehrlich zueinander. Sogar alseure Mutter mich verlassen hat, haben wir viel darüber geredet, obwohl ihr noch nicht so alt wart, wisst ihr noch?« Er fährt fort, ohne auf Antwort zu warten. »Darum waren die letzten Jahre nicht leicht. Nicht mit euch reden zu können war schwer, aber ich habe es geschafft, und wisst ihr, warum – weil ich euch nicht beunruhigen wollte.«
    »Ich bin aber beunruhigt«, sagt Sune mit dünner Stimme. »Ich auch so ein bisschen«, sage ich und hebe meinen Blick.
    Er nickt.
    »Ja, aber erst jetzt. Wir haben zwei Jahre rausgeschlagen. Zwei Frühlinge. Zwei Sommer. Zwei wunderbare Herbste. Und zwei Winter. Es waren gute Jahre. Bis auf ein paar Schmerzen, doch der Preis war in Ordnung.« Er lächelt und bekommt feuchte Augen. Sein Blick geht in die Ferne. »Ich habe so viele Dinge bewusst gemacht. Ebba genossen. Eure Besuche. Im Garten gesessen und den Wind gerochen. Ostwind.« Er schweigt ein paar Sekunden. »Träges Bienensummen an einem Sommertag. Ein Glas frisches Wasser. Das Leben ist ein Geschenk. Aber meines ist bald vorbei. Ich werde sterben.«
    Meine Finger und Füße werden kalt. Mein Mund ist trocken, und irgendwo weit hinten höre ich ein verzerrtes Klingeln. Ich öffne den Mund und versuche automatisch den Druck auszugleichen. Jemand gibt ein leises Geräusch von sich. Far mustert uns abwechselnd, immer noch mit diesem ruhigen Blick voller Wissen und Wärme.
    »Ihr wisst noch, wie Farfar gestorben ist? Allein. In einem fremden Bett. Künstlich am Leben gehalten. Von Fremden gewaschen. Überall Schläuche ...« Er schaut zur Decke und atmet durch. Dann schaut er wieder zwischen uns hin und her. »Ich will hier sterben. Zu Hause.«
    Es bleibt eine Zeit lang ruhig im Zimmer. Ich hefte meinen Blick auf seine Hände, um diesem unerschütterlichenBlick auszuweichen. Meine Finger und Zehen beginnen mit dem zurückkehrenden Blut zu kribbeln. Sune räuspert sich. Sie beginnt einen Satz, aber schon bei der ersten Silbe versagt ihre Stimme. Sie wirft mir einen Blick zu. Er bohrt sich wie ein Nagel in mein Hirn. Schock, Angst und Verzweiflung. Meiner kann nicht besser aussehen. Sie atmet durch, hebt das Kinn mit einer entschlossenen Bewegung und wendet sich

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