Beziehungswaise Roman
nickt.
»Wir sind ja nicht als Menschen getrennt. Wir haben bloß den Zustand upgedatet.«
»Ach so«, sage ich.
Sie stemmt sich ganz auf die Ellbogen, stützt ihr Gesicht auf ihre Handflächen und lächelt mich an.
»Wir sind super Hardware, aber unsere Software ist veraltet. Ein paar Programme müssen aktualisiert werden.«
Ich schaue sie an. O Gott, sie treibt es mit einem Programmierer.
»Klingt ja toll«, sage ich schließlich.
Sie spreizt ihre Finger.
»Verstehst du nicht, was ich meine? Aus Liebe 1.0. wird Freundschaft 2.0.« Sie kneift die Augen zusammen, denkt einen Augenblick nach und schüttelt den Kopf. »Nein, noch besser, wir machen aus Lasse und Tess 1.0., Lasse und Tess 2.0. Wir verändern uns, die Liebe bleibt.«
»Verstehe«, sage ich und spüre, wie meine Mundwinkel auseinanderstreben.
Sie lächelt süß.
»Was denn?«
Ich starre ihr eindringlich in die Augen.
»Ich weiß nicht, wer du bist, aber du verschwindest sofort aus dem Körper meiner Freundin, böser Mutant!«
Bringt mir einen Schlag ein.
»Au, was denn? Upgedatet, Grundgütiger!«
Sie nickt.
»Ist doch komisch.«
»Was?«
»Dass wir uns nie streiten.«
Ich lasse die Hände sinken.
»Wozu sollten wir uns streiten?«
Sie hebt die Schultern ein Stückchen und zieht eine Schnute.
»Das macht man am Ende einer Beziehung so. Dann ist es einfacher, sich zu trennen. Ein paar Schuldzuweisungen wirken Wunder, man kann den anderen hassen und will sich dann auch nicht mehr wiedersehen. Und was machen wir? Liebesbekundungen, in einem Bett schlafen, zusammen verreisen – da kann ja kein Hass aufkommen.«
»Miststück.«
Sie runzelt die Stirn und schaut mich an, nicht ganz sicher, ob sie sich verhört hat. Ich hebe wieder meine Hände.
»He, ich wollte nur helfen ...«
Sie lacht nicht. Ich schaue schnell auf die Uhr.
»Wir müssen los.«
Klarer blauer Himmel. Eiskalte Luft. Warmes Auto. Und eine bizarre Verkehrsdurchsage, die ebenso lange dauert wie die Nachrichten. Wie konnte es bloß normal werden, dass die Verkehrslage mehr Raum einnimmt als die Nachrichten? Nicht dass ich morgens unbedingt erfahren müsste, dass die Weltbevölkerung zunimmt, die Gletscherschneller schmelzen, der Urwald gerodet wird und die Politiker sich wieder ihre Diäten angehoben haben, aber eine mehrminütige Staumeldung kann ganz schön deprimierend sein. Zum Schluss verspricht uns der Sprecher, dass es bald weiterschneien wird. Prima. Ich schleiche hinter einem Volvo her, der mit fünfundvierzig durch die Landschaft prescht. Auf dem Beifahrersitz gähnt Tess und kämpft mit ihren Augenlidern. Sie ist müde, wirkt aber sonst zufrieden. Mehr als zufrieden.
Seitdem wir fast miteinander schliefen, ist irgendetwas mit ihr passiert. Sie wirkt viel klarer. Vielleicht sind dadurch die letzten Zweifel in ihr ausgeräumt. Denn wozu zusammenbleiben, wenn man nie wieder miteinander schläft, keine Kinder hat und noch keine achtzig ist? Vielleicht ist es auch wegen Far. Noch ein Grund, warum es falsch ist, den Tod zu verdrängen. Man verpasst die Freude, noch am Start zu sein.
»Nein«, sage ich.
Sie wendet mir ihr Gesicht zu und lächelt wieder so süß, fragt aber nicht nach, also fahre ich fort.
»Echt, wozu streiten? Wir haben eigentlich nur zwei Probleme: Wir sehen uns nie und wenn, kriege ich keinen hoch.«
Sollte lustig sein, aber wie immer beim S-Thema wird aus Nähe Verunsicherung. Sie senkt ihren Blick und schaut auf mein Kinn. Um aus der Sache wieder herauszukommen, frage ich sie, wie es im Job weitergeht. Nach wenigen Sätzen bricht die Begeisterung bei ihr aus. Sie erzählt euphorisch von dem Traumangebot: Koordination des Coachings für Führungskräfte der internationalen VW-Niederlassungen. Herumkommen. Kontakte machen. Die Welt sehen. Als sie mir die Summe nennt, die sie ihr dafür bezahlen wollen, frage ich zur Sicherheit noch mal. Nein, ich habe mich nicht verhört, Grundgütiger.
Während ich dem Volvo folge und Tess beim Schwärmen zuhöre, breitet sich in mir wieder die Gewissheit aus, dass unsere Entscheidung richtig ist. Sie liebt diesen Job. Früher hat sie mit derselben Begeisterung von Beziehung gesprochen. Ich horche in mich rein, was dieser Gedanke auslöst. Bedauern. Verletzte Eitelkeit. Ein bisschen Wut und ein bisschen Angst, nie wieder jemanden so zu lieben.
Sie stockt, mustert mich, verzieht ihr Gesicht und entschuldigt sich. Far ist tot, und sie schwärmt von ihrem Job. Ich nehme meine Hand von der Schaltung und
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