Beziehungswaise Roman
und wenn eines sicher ist, dann, dass es da oben warm sein wird.
»O.k., kurz zum Auftauen.«
»Mutig«, grinst er und schließt sein Fahrrad an.
Ich folge ihm in den Hauseingang und die Treppe hoch. Während wir die Stufen hochgehen, wird die Musik immer lauter, und das Gebrüll nimmt zu. Auf halber Strecke müssen wir an zwei Partygästen vorbei, die auf der Treppe sitzen. Der eine ist sehr behaart, trägt ein sparsames SM-Kostüm und weint. Neben ihm sitzt ein Scheich. Er hat dem SM-Bären einen dünnen Arm um dessen breite Schultern gelegt und versucht zu trösten.
Vor einer Holztür mit Glasscheibe bleiben wir stehen. Ich merke mir den Namen auf der Klingel, falls ich mal mit Arne wiederkommen muss, um Blutrache zu üben. Bevor mein Retter die Tür aufstößt, grinst er mir über die Schulter zu.
»Festhalten.«
»Hättest du wohl gerne.«
Er grinst und stößt die Tür auf – und endlich bricht mal wieder eine Karnevalshölle über mich herein. Die Polonäse geht kreuz und quer durch die Wohnung und ist so ein klitzekleines bisschen HYSTERISCH! Männliche kreischende Engel. Männliche kreischende Funkemariechen. Männliche Politessen, kreischend. Cowboys, SM-Varianten, Gala-Tucken, alle sind nur mit dem Unnötigsten bekleidet und kreischen, als hätten sie Piranhas an den Klöten. Kondenswasser läuft die Fensterscheiben herab, und die Anlage klingt wie Lemmy beim Zahnarzt. Ich folge meinem Retter rechts durch das Gedränge an zwei Zimmern mit gottlob geschlossenen Türen vorbei, durch einen langen Gang, der links abknickt, durch eine Haustür, aus der Wohnung, über einen Hausflur, in eine andere Haustür und andere Wohnung, durch einen langen Raum, bis wir schließlich links abbiegen und in einer riesigen Küche stehen, wo die Musik immerhin schon so abgedämpft ist, dass man sich unterhalten kann. In der Küche fläzen sich zwölf Männer, man steht und sitzt und redet und trinkt. Es stehen zwei Sofas herum und mehrere alte Sessel, denen man es ansieht, dass sie im Sommer Freiluftsaison haben. Eine Oase mitten im tiefsten Winter.
Mein Retter deutet auf die Heizung.
»Mach’s dir bequem.«
»Danke.«
Er öffnet einen Schrank, nimmt ein Glas heraus, geht zum Kühlschrank und wühlt darin herum. Ich nicke in dieRunde, knöpfe meine Anzugsjacke auf, gehe zur Heizung, schaffe es gerade noch so, sie nicht zu küssen, klemme mir die Hände unter den Hintern und setze mich drauf. Es ist, als würde ich mich auf fremde Gegenstände setzen.
Durch das große Küchenfenster hat man freien Ausblick auf den Innenhof und das gegenüberliegende Haus. Dort ist ein Stock höher ebenfalls eine Party. Ein paar Leute stehen am Fenster und schauen zu uns runter. Ein paar winken. Ich nicke zurück.
Mein Retter kommt wieder und drückt mir ein Glas in die Hand. K.o.-Tropfen on the rocks? Ich schnuppere am Inhalt und rieche nichts. Scheinbar ist mein Geruchssinn mit eingefroren.
»Was ist das?«
»Für die innere Heizung«, sagt er und legt mir eine Hand auf die Schulter. »Sebastian, aber meine Freunde nennen mich Tricksi.«
Tricksi.
»Hi, Sebastian. Lasse. Danke. Wirklich freundlich von dir.«
»Ist doch selbstverständlich«, sagt er und lächelt mich auf eine Art an, wie ich es einfach nicht von einem Mann gewohnt bin. »Wärm dich auf, und dann tanzen wir ’ne Runde.«
»Äh, mal schauen.«
»Mutig«, grinst er. »Aloa! «, sagt er und verschwindet wieder den Gang entlang.
»Aloa«, antwortet die ganze Küche automatisch, ohne die Gespräche zu unterbrechen.
Ich stelle das Glas auf dem Fenstersims ab und nehme das Büfett in Augenschein. Der Tisch sieht aus, als hätte er an einem Wettbewerb zum saubersten Partytisch des Jahres teilgenommen. Jede Schüssel hat einen eigenen Löffel. Nichts ist danebengeschwappt. Keine ausgedrückten Zigarettenauf Tellern. Ein Stapel am Tischrand ausgerichtete Servietten runden das Bild ab. Nutzt aber nichts, da es nichts mehr zu essen gibt. Doch auf der Arbeitsplatte steht ein Wasserkocher, und auf dem Brett über dem Herd entdecke ich Teebeutel. Wenn ich jetzt noch ... da, eine ganze Reihe sauberer Tassen hängen unter dem Brett. Ich öffne den Wasserkocher und werfe einen Blick hinein. Voll. Ich stelle ihn auf den Untersteller, knipse den Strom an, nehme mir eine Tasse, entdecke sogar Kandis, werfe ein paar Stück in die Tasse, kippe einen Schluck Milch obendrauf und warte so sehnsüchtig auf das Kochen des Wassers wie auf Bergetappen bei der Tour de France.
»Ist da
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