Beziehungswaise Roman
stoßweise, bis sie sich wieder im Griff hat.
»Tut mir leid.«
»Und mir erst«, sagt sie gepresst. »Ich hasse es, wenn Frauen auf Partys heulen ...«
»Was soll’s, eigentlich bin ich erleichtert. Wenn alle feiern und man als Einziger schlecht drauf ist, fühlt man sich wie der totale Versager.«
Sie sagt einen Augenblick nichts. Dann biegt sie sich ein Ohr herunter und wischt sich damit über Augen und Wangen. Ich strecke mich, um an die Servietten zu kommen, und reiche ihr eine.
»Danke«, sagt sie. Sie klemmt sich die Serviette an die Nase, schnäuzt sich kräftig und schaut mich unsicher an. Ihr Kajal ist verschmiert. Jetzt sieht sie aus wie ein Waschbär. »Was ist es denn bei dir?«
Ich zögere einen Moment. Ach, scheiß drauf.
»Vor zwölf Stunden ging meine siebenjährige Beziehung zu Ende. Vor drei habe ich einen beschissenen Auftritt hingelegt, und vor zwei habe ich erfahren, dass ich am Rosenmontag im Karneval auftreten muss. Na ja, außerdem bin ich fast pleite, habe Erfrierungen dritten Grades, und die Nachbarkatze benutzt meinen Hof als Klo.«
Sie legt mir eine Hand auf den Arm.
»Tut mir leid mit deiner Beziehung.«
In ihren Augen steht intensives Mitgefühl. Zehn zu eins, sie macht gerade Ähnliches durch. Eine warme Welle durchläuft meine Brust. Es jemandem zu erzählen ist eine größere Erleichterung, als ich gedacht habe. Ich atme tief durch.
»Und bei dir, Mona?«
Sie zieht die Nase hoch.
»Ich sollte erst gar nicht davon anfangen, sonst sitzen wir morgen noch hier.«
In der nächsten Stunde erfahre ich alles über Mona, die schwangere Tierärztin aus Dresden, die ihren Exmitbewohner im Karneval besucht, um auf andere Gedanken zu kommen. In Dresden hat sie eine eigene Praxis mit Thomas, mit dem sie fünf Jahre zusammen ist und der sie seit dem Ultraschallbild nicht mehr anrührt, weil ihr Körper jetzt der Tempel seines Sohnes ist. Ich hatte mich auf Schlimmeres eingestellt und will mich erst darüber lustig machen, doch nach und nach begreife ich das Ausmaß ihrer Angst. Eigentumswohnung nahe bei den Schwiegereltern, kirchlich heiraten und den Job aufgeben. Viele würden sie tendenziell beneiden, aber Mona ist noch nicht bereit für das Mamasein. Sie will arbeiten und reisen und nicht die nächsten achtzehn Jahre auf Abenteuer, Sex und Party verzichten.
Während wir reden, füllt sich die Küche wieder, doch man hält Abstand. Die Jungs werfen uns einen einzigen Blick zu und sehen sofort, Hetero sitzt neben Frau, die geweint hat, alles klar, man ignoriert uns. Ich mag das. Ein ruhender Pol mitten im Chaos. Eine Bank auf einem Kinderspielplatz. Ein Liegestuhl am Strand. Eine Küchencouch auf einer Party. Ein gutes Gespräch mit einem sozialen Menschen. Der Tag hat die Kurve bekommen.
Wir trinken Tee, bleiben beim Thema, und ausgerechnet als Mona noch mal die Serviette braucht, kommt ihr Exmitbewohner herein. Sein behaarter Bauch hängt über seinem Minislip, der Scheich klebt ihm an der Seite. Er sieht Monas verweintes Gesicht, wirft mir einen dumpfen Blick zu, dreht sich wortlos um und geht wieder raus. Wir schauen ihm nach.
»Vielleicht ist er sauer, dass du seine Masche klaust.«
Sie lacht nicht. Stattdessen wirft sie die zerknüllte Serviette auf den Tisch, stößt die Luft aus, verzieht den Mund und senkt den Blick auf ihre Schuhe.
»Mist«, sagt sie und wirkt einen Augenblick lang, als würde sie wieder von vorne anfangen.
Wieder durchläuft mich diese warme Welle. Jeder hat seinen Schmerz. Für Mona ist es eine Schwangerschaft, die zu früh kommt, für mich eine freundschaftliche Trennung. Gegen existenziellere Probleme wirken diese Dinge vielleicht wie Kummer light. Aber das Gefühl ist echt. Echt und schwer.
Ich stupse sie in die Seite.
»Schon übel, sich auf einer Schwulenparty an den einzigen Hetero ranzuschmeißen, um ihn vollzujammern, echt peinlich, sogar für ein Kaninchen.«
Sie verzieht das Gesicht und hält sich die Häschenohren zu.
»Aufhören.«
Ich schnappe mir ihr linkes Ohr und ziehe es zu meinem Mund.
»Nein, im Gegenteil, jetzt fangen wir erst richtig an, Mona aus Dresden, jetzt wird getanzt!«
Das mit dem Tanzen war theoretisch eine gute Idee, um auf andere Gedanken zu kommen, Spaß zu haben und all das, ja, ja. Wenn es nicht so unfassbar eng wäre und die Musik nicht so unfassbar furchtbar und alle Anwesenden so unfassbar kontaktfreudig. Ich bin es einfach nicht gewohnt, dass sich Männer vor mich hinstellen, mich unverblümt
Weitere Kostenlose Bücher