Beziehungswaise Roman
herausgepickt. Auf einer Comedypreisverleihung trank ich zu viel. Sie baggerte mich an, wollte ständig tanzen, holte immer wieder Nachschub von der Bar und kam nachts mit ins Hotel, obwohl sie kein Zimmer hatte. So müssen die Walfängerschiffe früher ihre Besatzung gekapert haben. Als wir morgens aufwachten, machte sie mich schön wach, hörte mittendrin auf und fragte nach unserer Zukunft. Sie wollte, dass ich sie in die TV-Szene einführe; ich führe sie ein, sie führt mich ein. Ich erklärte ihr, dass ich in einer festen Beziehung lebe. Sie musterte mich konzentriert damals noch ganz ohne Ironie, dann nickte sie und schlug mir einen anderen Deal vor: Ich sollte ihr Karten für die Verleihung des Deutschen Fernsehpreises besorgen, dann würde keiner von ihr und mir erfahren. Ihr und mir. Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass sie es ernst meinte, und ich möchte nicht wissen, wie viele Türen sie sich so geöffnet hat. Ihr Schlüssel zum Erfolg.
»Weißt du, was gut wäre?«, sagt sie.
Ich nicke. Heute nicht Single geworden zu sein. Heute nicht aufgetreten zu sein. Heute nicht BH in Notgeillaune getroffen zu haben. Damals nicht BH in Notgeillaune getroffen zu haben.
»Wenn du in einer Dänemarkflagge auftreten würdest. Und du solltest jeden Auftritt mit ›Dänen lügen nicht‹ als Einspieler beginnen, so was prägt sich ein. Ich meine, wie viele Dänen gibt es in Deutschland, die Comedy machen?«
Ich suche ihre Augen vergebens nach Ironie und Sarkasmus ab. Sie meint es ernst. Sie will mir anscheinend wirklich helfen.
»Natürlich nicht wirklich in einer Flagge, nur in denselben Farben«, verbessert sie sich, »dann sieht man gleich, dass du es bist. Die Leute müssen an dich denken, wenn sie die dänische Flagge sehen, dann hast du es geschafft.«
Bevor mir etwas dazu einfällt, rutscht ein Vertreter der Presse neben sie und nimmt sie in Beschlag. Er wirft mir einen neugierigen Blick zu. Ich winke, als hätte ich jemanden in der Menge entdeckt, und verdrücke mich. Ich weiche der Clemens-Area aus und laufe Kohl und seinem Agenten neben der Garderobe in die Arme. Ich rate Kohl, sich wegen der Qualifikation keine Vorwürfe zu machen, so was kann ja mal passieren. Er lacht nicht. Ich bedanke mich bei Herrn Scheunemann, dass er sich beim Casting Mühe gegeben hatte, interessiert zu wirken, wo doch alles abgekartet war. Herr Scheunemann versichert mir, dass mit ihm nichts abgekartet war, und wünscht mir einen schönen Abend. Sie gehen. Das sollte ich auch, aber zu Hause wartet mein leeres Bett auf mich, und für die erste Nacht allein bin ich nicht breit genug. Auch etwas, das ich Tess oft vorgeworfen habe: Eine der primären Dinge in einer Beziehung sollte es doch sein, im Augenblick der Niederlage an der Seite des Partners zu sein, oder? Und in den letzten Jahren, der Blütezeit meiner Niederlagen, war sie so gut wie nie da. Oder geht es mit mir bergab, seitdem sie nicht mehr dabei ist? Und falls ja, was passiert dann jetzt, wo sie gar nicht mehr da ist? Hallooo! Du stehst in einer Bar und willst dich betrinken! Du bist aber nicht betrunken! Definiere die Aufgabenstellung!
Ich entdecke eine ruhige Lücke am Thekenende, rutsche rein und halte einen Finger hoch. Die Bedienung stolpert fast über ihre Füße, um mich zu bedienen. Jetzt, wo sie weiß, dass ich BH kenne, findet sie mich sympathisch und serviert mir den Drink mit einem servilen Lächeln. Ich nehme einen kräftigen Schluck und lasse meinen Blick durch den Laden wandern. Clemens wird von Comedians belagert. Unter ihnen nimmt der Grandiose eine Sonderbückstellung ein. Seine ganze Körperhaltung ist Schleimspur pur. Schon interessant, was aus Großmäulern wird,wenn der Wind auffrischt. Und was wird aus mir? Wie weit bin ich bereit zu gehen, um den Absturz aufzuhalten oder zumindest zu verlangsamen? Ist, sagen wir, ein Karnevalsgig o.k.? Grundgütiger ...
Ich kippe den Rest runter und halte einen Finger hoch. Die Bedienung hat mich sofort im Blick, nickt zum Zeichen, dass sie verstanden hat, und zeigt dabei all ihre Zähne. Überhaupt scheinen viele hier Grinsgas konsumiert zu haben. Kostümfreie Zone, aber die Maske bleibt drauf. Ich sollte wirklich gehen. Aber wohin? Nach China? Da ist es wahrscheinlich egal, ob ich meinen Text kann oder nicht. Ich lese die Menschenrechte vor, und die lachen sich schlapp. Die lustige Langnase.
Jemand rutscht neben mich an die Theke. Ich checke aus den Augenwinkeln, aber es ist nur meine neue Kollegin, die
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