Beziehungswaise Roman

bitte wieder an den Nationalsozialismus zu denken. Diese Bevormundung nervt mich schon lange. Und dennoch.Vielleicht ist diese Wehret-den-Anfängen-Haltung gegenüber Deutschland mit ein Grund, wieso wir wirklich den Anfängen wehren und uns auch nicht mehr so leicht aufgrund gefälschter Beweise in Kriege hineinziehen lassen. Vielleicht braucht man ein solches Schuldgefühl, um seine dunkle Vergangenheit nicht zu verdrängen, sondern sie aufzuarbeiten. Vielleicht lernt Amerika deswegen so wenig dazu, weil es seine Schuld nicht anerkennt. Die Deutschen dagegen tun das. Das einzig Üble daran ist bloß, dass Kanacke dadurch Erfolg hat.
    Als er wieder hereinkommt, stupst der UFZ mich an. »Also, ich fand es lustig.«
    »Total«, sage ich. »Vor allem der Teil mit den ausländerfeindlichen Deutschen.«
    »O ja«, der UFZ nickt begeistert, »das war ’n Brüller.« Kanacke winkt nur ab und geht an uns vorbei. Der Soundcheck ist durch. Die Scheinwerfer werden runtergezogen, Musik vom Band ertönt, die Türen werden geöffnet, und das Publikum flutet herein. Kostümrudel stürzen sich auf die besten Plätze. Ich nutze die Wartezeit, um weiter wegen Jobs herumzufragen, aber ich war wirklich lange weg: Einige haben nichts, andere trauen mir nichts mehr zu. Am besten lege ich nachher einen guten Auftritt hin, gewinne und überzeuge alle, dass ich es echt noch draufhabe. Klar.
     
    Eine Stunde später stehen wir wieder hinter dem Vorhang und schauen Manne zu, der im Einsatz ist. Vor ihm waren schon einige dran, vor allem der arme Newcomer. Der muss wahrscheinlich in Therapie nach diesem Gemetzel. Er musste als Erster raus und war so eingeschüchtert, dass das Publikum gar nicht richtig verstand, dass die Show losgegangen war. Er bekam auch keinen Applaus zum Schluss, und das, obwohl BH ihn einigermaßen mitfühlend abmoderierte.Das änderte sich etwas, als der UFZ rausging. Stillgestanden! Sonst Moonwache! Du da, runter und gib mir zehn, zack, zack! Er weckte sie auf. Also so ein bisschen. Schwer zu sagen, denn irgendwie kommen seitdem alle Comedians gleich gut an. Sogar Susanne die Putze bekam netten Beifall, obwohl man merkte, dass niemand ihre Nummer kapierte. Nicht mal Manne schafft es, sie zu wecken. Und warum? Weil sie nicht wegen uns hier sind. Der halbe Saal übt sich im Anbaggern, die andere Hälfte sorgt permanent für Biernachschub.
    Ich lasse den Blick durch den Saal schweifen und ertappe mich dabei, die Gesichter nach Tess abzusuchen. Schon so lange her, dass ich sie da unten gesehen habe, doch auch diese Hoffnung stirbt zuletzt. Stattdessen entdecke ich Mona. Ich blinzele. Tatsächlich, da steht sie inmitten der ganzen Schwulentruppe in voller Cowboy- und SM-Ausrüstung. Sebastian, Monas Exmitbewohner, sogar der Bodybuilder ist da, und ohne diese Jungs hätte ich Mona wahrscheinlich auch nicht erkannt, denn sie ist die einzige Unverkleidete an dem Tisch. Statt in dem unförmigen Kaninchenfell steckt sie heute in Zivil, Cordhose und T-Shirt, und ich kann beim besten Willen keinerlei Bauch bei ihr entdecken, was mich überrascht. Ich dachte, sie hätte das flauschige Kaninchenkostüm getragen, um ihren Babybauch elegant zu verstecken. Hab ich sie überhaupt gefragt, in welchem Monat sie ist? Hm.
    Neben ihr verpasst ein auf Domina zurechtgemachter Lederfreak dem Bodybuilder ein paar Klapse mit einer Peitsche. Seine ekstatischen Schreie sind bis hier oben zu hören. Die am Nachbartisch drehen die Köpfe und mustern die Typen befremdet. Zwar ist jeder Jeck anders, aber man kann’s ja auch übertreiben.
    BH moderiert Manne ab. Noch in den netten Applaus hinein wird ein Karnevalslied eingespielt. Manne klatscht denComedian ab, der nach ihm auf die Bühne geht, und stellt sich wortlos neben mich.
    »Willst du darüber reden?«
    Er schüttelt den Kopf, also schauen wir zu, wie die Bemühungen der folgenden Comedians in der zähen Atmosphäre ersticken wie Mücken in Sirup, und spätestens, als das HB-Männchen sich total aufregt und mit rot leuchtendem Kopf über die Bühne hüpft, um anschließend denselben Beifall zu erhalten wie alle anderen, weiß ich, woran mich dieser Abend erinnert: Auftritte am Messestand. Bloß, dass wir keine Promoartikel ins Volk werfen und uns damit beliebt machen können.
    Das HB-Männchen kommt von der Bühne und verschwindet kopfschüttelnd backstage. Nina wird aufgerufen.
    »Viel Spaß«, sagt der UFZ.
    Sie nickt bloß und geht raus.
    »Vielleicht schafft sie es ja«, sagt Manne.
    Ich