Bezwinger meines Herzens - Kennedy, K: Bezwinger meines Herzens - The Irish Warrior
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A nstelle eines Schauders rann Senna jetzt ein frostiger Hauch über den Rücken. »Färbehexe«, riefen die Leute seit Jahrtausenden, wenn sie jemanden beleidigen wollten. Und diejenigen, deren Wohl und Wehe von den Launen des örtlichen Lehnsherrn abhing, drückten auf diese Weise aus, dass sie jemandem an den Kragen wollten. Aber wer besser Bescheid wusste, für den war »Färbehexe« eine Respektsbekundung, die an scheue Ehrfurcht grenzte.
Senna wünschte verzweifelt, nicht zu denjenigen zu gehören, die ›besser Bescheid wussten‹.
»Oh, du liebe Güte, Mylord«, erwiderte sie rasch, »ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor. Ich bin nur wegen der Wolle hergekommen.« Sie streckte ihm das Rechnungsbuch entgegen.
Er senkte kurz den Blick und schaute sie dann wieder an. »Es liegt kein Missverständnis vor, Mistress de Valery. Mir gehören die Schnecken. Ich brauche den Farbstoff, den sie bilden.«
»Oh, Mylord, die Wishmés sind eine Legende. Und nur das.« Von der ihre Mutter ihr einst beim Schein eines Feuers erzählt hatte. »Nichts von dem, was man sich über sie erzählt, ist wahr ...«
»Es gibt sie, Senna. Das Traktat Eurer Mutter beweist es eindeutig.«
Sie zuckte zurück. »Das Traktat meiner Mutter?«
Ihre Mutter? Was wusste Rardove über ihre Mutter? Und was wusste ihre Mutter über Traktate? Alles, was die Frau kannte, kannte sie offenbar im Übermaß. Maßloses Fieber. Leidenschaft. Deswegen hatte sie ihre Familie verlassen, war fortgegangen, als Senna fünf Jahre alt gewesen war. Hatte Senna die Verantwortung für ihren ein Jahr alten Bruder überlassen und dem Vater das Herz gebrochen, sodass er im Strudel des Glücksspiels versank, der ihn schier umgebracht hatte während der Jahre, die seither verflossen waren.
All das hatte sie einfach Senna überlassen und war nie wieder zurückgekehrt.
Ihre Mutter verstand sich nicht auf Schriftstücke, hatte keine Ahnung, wie man Dinge regelte. Wie man sich gegen die Furcht erregenden Mächte dieser Welt wehrte und sie vertrieb. Sie hatte sich nur auf das Fortlaufen verstanden. Und ganz sicher hatte sie nichts davon verstanden, kaufmännisch zu handeln .
Das war Sennas Gefilde.
»Nun, Senna?«
Sie lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Gespräch.
»Die Wishmés existieren. Sie sind wertvoll. Und ich brauche Euch, um sie zu Farbstoffen zu verarbeiten. Für mich.«
Sie hielt das Rechnungsbuch vor der Brust und drückte es an sich. Eine schwache Rüstung. Sie konnte keine Färbemittel herstellen. Selbst wenn man ihr hundert Truhen voller Gold geboten hätte, wäre sie immer noch nicht in der Lage gewesen, Farben herzustellen. Ihr ganzes Leben hatte sie damit zugebracht, genau das zu vermeiden.
Die Frage war nur: Was würde dieser Mann tun, wenn er es erfuhr?
In diesem Augenblick schaute er sie einfach nur an, allerdings mit einer habichtartigen Eindringlichkeit, die schwächeren Geschöpfen, zu denen auch sie gehörte, nichts Gutes verhieß.
»Habt Ihr einen Vorschlag zu machen, Senna, was nun geschehen soll?« Seine Stimme klang so ruhig, als würden sie die Speisen für den Abend besprechen. Vielleicht stand ja sogar sie auf dem Speiseplan.
Senna strich sich mit der freien Hand über den Rock. Es war höchste Zeit, Vernunft zu beweisen, um nicht ausgebeint und gargekocht als erster Gang serviert zu werden.
»Habt Ihr es mit Purpurschnecken versucht? Oder vielleicht mit Färberwaid? Die Farben sind kräftig und üppig und sind für Wolle gut geeignet. Sie bringen gewiss das Ergebnis, das Ihr wünscht.«
Rardoves Gesichtsausdruck drückte Ablehnung aus.
»Sir, es ist nicht möglich, dass jemand Farbstoffe aus den Wishmés herstellen kann, nur weil er es möchte. Nur sehr wenige sind dazu in der Lage. Das behauptet jedenfalls die Legende«, fügte sie rasch hinzu und fuhr noch rascher fort: »Über die ich nur unterrichtet bin, weil ich auf einem ähnlichen Gebiet tätig bin und mir solche Dinge deshalb zu Ohren kamen. Aber selbst wenn ich zu färben wünschte, könnte ich es nicht einfach so tun.« Sie schnipste mit den Fingern. »Solches Handwerk verlangt jahrelanges Studium. Ich kann nicht nachvollziehen, warum Ihr glaubt, dass ich ...«
Er schnappte sich ihre Hand, drehte sie um und drückte den Daumen auf die Innenseite des Handgelenks, über die blauen Venen, die sich unter der Haut abzeichneten.
»Euer Blut lässt es mich glauben«, sagte er leise. »Man sagt, es ist im Blut.«
Senna stand der Mund offen. Entsetzt
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