Bezwungen von deiner Leidenschaft: Roman (German Edition)
wie ich sehe«, bemerkte Camille.
Obelienne neigte fast königlich den Kopf. »Ich stamme von Martinique«, erklärte sie. »Meine Mutter war Köchin bei einer bedeutenden französischen Familie.«
Camille betrachtete sie mit neuem Interesse. »Sie sprechen Französisch, oui?«
Die Köchin lächelte leicht. »Bien sûr, Madame. Aber meistens spreche ich Kwéyòl, das Sie wohl nicht verstehen werden.«
Das also erklärte ihre ungewöhnliche Sprachmelodie. Aber Camille war noch immer ein wenig verwirrt. »Sie haben auf Barbados für die Neville-Familie gearbeitet, n’est-ce pas?«
Wieder das langsame Kopfnicken. »Oui, Madame, aber meine Mistress war von Martinique. Sie war nach Barbados geschickt worden und ich mit ihr. Ich war damals ein junges Mädchen – ein Mädchen für alles, würde man das wohl nennen. Nach einiger Zeit hat meine Mistress geheiratet. In die Neville-Familie.«
»In die Neville-Familie?«, wiederholte Camille.
»Oh, oui, Madame. Luke Neville, Madame. Den älteren Bruder des Herrn. Er ist gestorben.«
Camille erinnerte sich an das Wenige, das Xanthia über ihren älteren Bruder erzählt hatte. »Ich weiß nicht viel über ihn«, gestand sie. »Lord Rothewell hat nie ausführlicher über seinen Bruder gesprochen.«
»Oui, er trinkt stattdessen Brandy«, stellte Obelienne unumwunden fest. »Um die Geister zu vertreiben. Aber dafür kommen dann die Dämonen.«
Camille wusste nicht so recht, was sie mit dieser Bemerkung anfangen sollte. Obelienne sah sie über den Tisch hinweg gelassen an.
»Nun«, sagte Camille so munter, wie sie konnte. »Wie es aussieht, haben Sie die Küche gut im Griff, Miss Obelienne. Als Nächstes sollte ich mir dann über die Haushaltsausgaben einen Überblick verschaffen, denke ich.«
Wieder neigte Obelienne königlich den Kopf. Sie zog ein weiteres Buch vom Stapel, öffnete es und reichte es Camille. »Sie sehen aus wie sie«, sagte sie dann.
»Pardon?«
»Meine Mistress.« Obelienne ließ ihren Blick über Camille gleiten. »Non, nicht das Gesicht. Nicht wie die Tochter. Aber die Ähnlichkeit – oui, sie ist trotzdem da.«
»Die Tochter?« Camille war verwirrt. »Sie sprechen von der Nichte meines Mannes?«
Obelienne nickte langsam. »Auch Sie sind sehr dunkel und sehr schön«, sagte sie ruhig. »Wie Annemarie. Und deshalb, Madame, werde ich für Sie beten.«
»Beten?« Camille sah sie scharf an. »Pourquoi?«
»Ich werde beten, dass Ihre Schönheit nicht zu einer Last für Sie wird.«
Die Bemerkung hätte als dreist gelten können, hätte Obelienne bei diesen Worten nicht vollkommen aufrichtig ausgesehen. Aber in Camilles Kopf begannen Namen und grimmige Warnungen durcheinanderzuwirbeln. »Merci«, sagte sie verlegen und streckte die Hand nach etwas Greifbarerem aus, nach etwas, das sie verstand – einem Haushaltsbuch. »Nun, was haben wir hier? Sind das die Quittungen des Gemüsehändlers?«
Als hätte es diesen seltsamen Augenblick nie gegeben, beugte Obelienne den Kopf über das Kontobuch.
Camille verbrachte den Rest des Vormittags mit Trammel, der sehr viel weniger rätselhaft war als seine Frau. Chin-Chin folgte ihnen beiden beständig und entfernte sich nur, um hin und wieder an einem Stuhlbein zu schnüffeln oder den Kopf hinter einen Vorhang zu stecken. Trammel machte Camille mit den Lakaien und den Hausmädchen bekannt, und er stellte Camille eine Menge Fragen dazu, wie sie die Dinge des Alltags erledigt wissen wollte. Während der ganzen Zeit hielt Camille einfach ihre Nase ein wenig höher und gab vor zu wissen, was sie wollte. Das zur Schau getragene Selbstbewusstsein schien zu wirken, denn die Dienstboten verneigten sich respektvoll vor ihr.
Niemand von ihnen schien über das plötzliche Auftauchen einer Ehefrau überrascht zu sein. Allgemein schien angenommen zu werden, dass Lord Rothewell eine Vernunftehe eingegangen war. Seine Schwester hatte geheiratet und war ausgezogen. Also wurde jemand gebraucht, das Haus zu führen. Zumindest erwartete also niemand, dass Camille vor Glück strahlte.
»Sind Sie schon sehr lange bei der Familie, Trammel?«, fragte sie, während sie das Porzellan und das Silber in der Anrichte inspizierten.
Trammel zog die nächste Schublade auf. »Ja, Ma’am. Seit ich ein junger Mann war.«
Camille stellte die Teetasse, die sie betrachtet hatte, zurück in das Regal. »Sie stammen also von Barbados«, sagte sie nachdenklich. »Waren Sie jemals ein – also ich meine, juristisch betrachtet, waren Sie …«
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