Bianca Arztroman Band 0011
Offenbar hatte er sich in Emily Chandler getäuscht. Er hatte sie für eine ruhige, besonnene, vernünftige Person gehalten. So kannte er sie als Krankenschwester. Er hatte sogar erwartet, dass sie ihn um Unterstützung bitten würde!
Er hob den Kopf. Er war eine Kämpfernatur. Niederlagen waren da, um überwunden und in einen Sieg verwandelt zu werden. Das war sein Motto, mit dem er bis jetzt erfolgreich gefahren war! In den nächsten Wochen würde er alles tun, um Emily von der Richtigkeit seiner Entscheidung zu überzeugen. Damit schob er seine Probleme beiseite und ging zur Tagesordnung über.
Die letzte Patientin an diesem Nachmittag war Lynette Fairchild.
“Ihr Schwangerschaftstest ist positiv”, sagte Will.
Lynette strahlte. Sie war Mitte zwanzig. “Das ist eine wunderbare Nachricht, Doktor!”
Will lächelte. “Die Schwester wird Ihnen Blut abnehmen, damit wir ein paar notwendige Tests machen können. Kennen Sie Ihre Blutgruppe und die Ihres Mannes?”
“Nein. Keine Ahnung.”
“Das macht nichts. Dann bestimmen wir sie.”
“Warum?”
“Die Blutgruppen der Eltern sind wichtig für die Kinder. Falls Sie Rhesus-negativ und Ihr Mann Rhesus-positiv ist, dann kommt es spätestens bei einer zweiten Schwangerschaft zu Komplikationen, die für das Baby lebensgefährlich sind. Heutzutage ist das kein Problem mehr. Sollte eine Rhesus-Unverträglichkeit vorliegen, dann würden Sie nach der Entbindung eine Antikörperspritze bekommen. Das ist alles.”
Lynette nickte.
“Okay, ich sehe Sie in vier Wochen wieder. Wir werden dann ein paar weitere pränatale Untersuchungen machen.”
“Was ist mit meinem Vorsorgetest, Doktor?”, fragte Lynette besorgt. “Beim letzten Mal war das Resultat nicht ganz in Ordnung.”
Will studierte den Befund. Der Pathologe hatte im Abstrich vor drei Monaten ein paar verdächtige Zellen entdeckt und eine Wiederholung empfohlen. “Ich habe einen neuen Abstrich entnommen, und wir müssen das Ergebnis abwarten. Die Schwangerschaft kann die Zellstruktur verändern. Sollte sich der Befund nicht normalisiert haben, werden wir uns weitere Schritte überlegen müssen.” Er sah auf und lächelte zuversichtlich. “Aber machen Sie sich nicht im Voraus verrückt, sondern freuen Sie sich auf Ihr Baby! Und keine Zigaretten mehr!”
Lynette nickte eifrig. “Bestimmt nicht. Ich habe schon seit ein paar Wochen reduziert. Aber jetzt habe ich wirklich einen triftigen Grund!”
“Die Schwester wird Ihnen noch ein paar Broschüren mitgeben. Da erfahren Sie alles über gesunde Ernährung, Bewegung und Schlaf. Sollten Sie Blutungen oder Schmerzen bekommen, dann rufen Sie an, oder kommen sofort in die Praxis. Alles klar?”
“Alles klar, Doktor.”
Lynette verabschiedete sich und ging. Will stand auf und stellte sich ans Fenster. Er starrte hinaus in das dämmrige Licht.
Was für ein Tag! Er wurde Vater …
Seine Gefühle waren gemischt. Da war Freude, aber auch Angst. Er war ziemlich sicher gewesen, dass Emily schwanger war. Nun gab es keinen Zweifel mehr.
Er dachte an die vergangenen Wochen und an Emilys reservierte Haltung. Sie tat so, als hätte es den siebzehnten Dezember niemals gegeben! Es gelang ihr, kühl und unnahbar zu bleiben, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, als sich genauso zu verhalten.
Anfangs hatte er damit Probleme. Wenn er sie sah, überfielen ihn die Erinnerungen, und er hätte sie am liebsten noch einmal in die Arme gerissen … Aber mit Disziplin und Willen hatte er einen Weg gefunden, mit seinen Wünschen umzugehen. Er gab sich betont korrekt und spielte seine Rolle überzeugend.
Aber als er vor einigen Wochen bemerkte, dass Emily schon morgens erschöpft und blass aussah, kam ihm ein Verdacht. Er änderte sein Verhalten und gab sich betont locker. Er versuchte, sie einzuladen, mit ihr essen zu gehen … kurz, er strebte eine persönliche, freundschaftliche Atmosphäre an. Wenn sie ihm etwas zu sagen hatte, dann sollte es an der passenden Umgebung für ein persönliches Gespräch nicht scheitern.
Er dachte zurück an ihre erste private Begegnung auf dem Weihnachtsball. Damals hatte sie ihre langen hellbraunen Locken offen getragen. Es hatte wie ein Umhang ihre nackten Schultern und den Rücken bedeckt. Bei der Arbeit trug sie meistens einen Zopf, manchmal einen Knoten. Aber niemals offene, fließende, verführerische Locken …
Damals hatte er sie auch zum ersten Mal ohne die strenge, formlose Schwesterntracht gesehen. Ihr dunkelgrünes,
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