Bianca Exklusiv 0189
habe ich den Anruf falsch eingeschätzt. Was hätte ich denn tun sollen? Sie haben erst bei dir gerufen, dann die zweite Nummer gewählt, die deiner Mutter.“
„Meiner Mutter?“
„Ja, es war ja einmal ihr Anschluss“, erklärte er. „Den habe ich doch übernommen.“
„Oh.“ Sie hatte vergessen, die neue Telefonnummer in der Schule anzugeben. „Du hättest doch aber sagen können, dass du nichts mit Harry zu tun hast, oder?“
„Hätte ich, ja“, gab er zu. „Aber Harry hat denen etwas ganz anderes erzählt.“
„Was genau?“ Das wurde ja immer schöner.
„Dass ich ein sehr guter Freund von dir sei und dass wir zusammen wohnen.“
„Ich verstehe“, sagte sie. „Du hast das doch aber richtig gestellt, oder?“
„Das hätte ich getan, wenn die Rektorin mich nicht schon für den zukünftigen Stiefvater gehalten hätte. Es erschien mir besser, persönlich hinzugehen, um sie über unser Verhältnis aufzuklären.“
„Wir haben keins“, erinnerte Esme ihn.
„Doch“, meinte er.
Sie überging diese Bemerkung, weil sie wissen wollte, was als Nächstes passiert war. „Hast du in der Schule alles geregelt?“
„Das habe ich versucht.“
„Und?“
„Nun, sie hat mir alles erzählt“, berichtete Jack. „Passiert ist Folgendes: Harry hat einen Jungen gestoßen, ihn mit den Fäusten bearbeitet. Die Aufsicht ist dazwischengegangen. Daraufhin ist Harry zur Rektorin marschiert. Als er sich weigerte, seine Schuld einzugestehen, hat man ihn vorläufig der Schule verwiesen. Es soll eine genaue Überprüfung stattfinden.“
„Wie bitte?“, fragte Esme ungläubig. „Er ist hinausgeworfen worden?“
„Zeitweilig, jedenfalls.“
„Und du hast das einfach so zugelassen?“
„Was hätte ich denn tun sollen?“ Er sah sie fragend an.
„Ich …“ Dazu fiel Esme auch nichts ein. „Traust du Harry zu, dass er als Erster zuschlägt?“
„Wenn man ihn genügend provoziert, ja“, antwortete Jack.
„Jeder Junge würde das tun. Das habe ich auch der Rektorin gesagt.“
Also hatte er Harry verteidigt. Sie wusste nicht, ob sie jetzt erfreut oder verärgert sein sollte.
„Außerdem habe ich ihr gesagt“, fuhr er fort, „dass sie sich fragen solle, wie ein normaler, wohlerzogener Junge dazu kommt, sich so ungewöhnlich zu benehmen. Erst dann könne sie Harry bestrafen. Und sie könne sich einen Rechtsstreit einhandeln, wenn sie den Vorfall nicht gründlichst untersuchen würde.“
„Was soll das genau heißen?“
„Wir werden sie verklagen“, erklärte er.
Esme war entsetzt. „Was hat sie daraufhin gesagt?“
„Was erwartest du?“ Er lächelte schalkhaft. „Sie hat sofort einen Rückzieher gemacht und versprochen, sich der Sache anzunehmen. Und sie hat Harry vorzeitig in die Ferien geschickt.“
Jack wirkte sehr zufrieden, was er ja auch sein konnte. Esme hatte schon längst einmal der übereifrigen Mrs. Leadbetter erzählen wollen, was sie von ihr hielt.
„Du kannst mich anschreien und ausschimpfen“, bot Jack an. „Ich weiß, ich bin zu weit gegangen.“
Eigentlich war das ja auch ihre Absicht gewesen. Doch jetzt erkannte sie, dass er sich sehr für ihren Sohn eingesetzt hatte. Daher fragte sie nur: „Wie geht es Harry?“
„Körperlich ganz gut. Er hat nur einen blauen Fleck am Schienbein und einige Schrammen am Nacken. Der andere Junge soll schlimmer aussehen.“
Die typische Antwort eines Mannes. „Soll mich das jetzt aufheitern?“
„Nein, aber es ist wichtig für Harry. Anscheinend haben ihm besagte Zwillingsbrüder schon seit Monaten zugesetzt.“
Und sie hatte nichts dagegen unternommen! Jack sagte das zwar nicht, aber so war es. Sie hatte gehofft, dass sich alles von selbst regeln würde.
„Ich möchte dich vorwarnen“, fügte Jack hinzu. „Harry will auf keinen Fall auf diese Schule zurück. Er meint, es gebe dort nur unsoziale und geistig minderbemittelte Kinder.“
„Hat er das so gesagt?“
„Nein, nur ungefähr. Wörter wie verrückt und Schwach köpfe habe ich ausgelassen.“
Esme schüttelte den Kopf. Sollte es wirklich so schlimm sein? „Du hast doch auch diese Schule besucht, oder?“
„Ja, und es war damals ähnlich. Wer behauptet, die Schulzeit sei die schönste Zeit im Leben, ist nicht zur City Road Primary gegangen.“
Überrascht blickte Esme ihn an. Er hatte sich nie beschwert. „Du hast dich damals aber so gut gemacht.“
„Das war eine andere Zeit.“ Er zuckte die Schultern. „Heute geht man vom kleinsten gemeinsamen
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