BIANCA EXKLUSIV Band 0171
Monty glitt nach vorn, bis sie bäuchlings auf dem Fenstersims lag. Sie starrte nach unten. Erst jetzt wurde ihr richtig bewusst, wie hoch sie über dem harten Fels am Fuß des Turms schwebte. Sie presste den Pokal an die Brust. Es gab nichts, woran sie sich festhalten konnte. Keinen Fahnenmast, keinen Erker, keinen Dachvorsprung. Ihre Knie befanden sich unterhalb der inneren Fensterkante und nur sie bewahrten sie vor dem Absturz. Sie drehte den Kopf und erstarrte. Die kleinste Bewegung konnte sie aus dem Gleichgewicht bringen, und wenn sie den Halt verlor, fiel sie nicht in das Zimmer zurück, sondern nach vorn in den Tod.
Ihr Herz schlug wie wild, während ihr sinnlose Fragen durch den Kopf schossen. Besaßen Feuerwehrwagen Leitern, die bis hier oben reichten? Wer würde sie hören, wenn sie um Hilfe rief? Ihre Tante hatte sich geirrt. Sie würde an ihrem Geburtstag sterben, nicht am Tag davor. Warum war sie in den Turm gestiegen und warum konnte sie sich nicht wie Dornröschen in den Finger stechen und hundert Jahre schlafen, bis der Märchenprinz sie wachküsste?
„Monty!“
Zunächst glaubte sie, sich seine Stimme nur einzubilden, doch dann fühlte sie seine Finger an ihrem Fußgelenk. Die Erleichterung war so gewaltig, dass sie das Gleichgewicht verlor und nach vorn rutschte. Sebastian packte das andere Fußgelenk und zog sie vorsichtig nach innen. „Mach dich schmal“, rief er. „Heb eine Hüfte an, sonst bekomme ich dich nicht hindurch.“
Es dauerte eine Weile, bis ihre Zehenspitzen den Boden des Zimmers berührten. Seb packte ihre Hüften. Montys Ellbogen stieß gegen die Außenwand. „Ich habe den Pokal“, sagte sie über die Schulter. „Ich habe ihn hier draußen auf dem Dach gefunden. Er existiert, Seb. Ich halte ihn in den Händen.“
„Lass ihn fallen“, befahl er.
„Red keinen Unsinn. Dies ist der Schatz, nach dem du gesucht hast. Er gehört deiner Familie. Er gehört dir …“
„Monty, lass den Pokal fallen. Lass ihn los.“
„Wenn ich das tue, wird er beschädigt. Vielleicht zerbricht er sogar.“
Er fluchte auf Französisch. „Das ist egal. Monty, bitte, lass ihn fallen. Ich könnte nicht weiterleben, wenn du stirbst.“
Monty kam zu dem Ergebnis, dass er recht hatte. Ein Silberpokal war es nicht wert, dafür sein Leben zu opfern. Mit einem Seufzer des Bedauerns warf sie ihn hoch. Vielleicht würde er ja dort landen, wo er so lange gelegen hatte. Aber er verfehlte das Dach, schwebte einen Moment in der Luft, drehte sich und ergoss auf dem Weg nach unten seinen Inhalt in die Nacht. Erstaunt sah Monty, wie eine rote Wolke herabschwebte, im Mondlicht glitzerte und sich wie Tau auf sie senkte. Sie öffnete die Hände und fing einen Tropfen auf, bevor Sebastian sie ins Turmzimmer zog. Er schlang die Arme um sie und küsste sie, während er mit ihr zu Boden sank.
„Mon amour. Mon amour. Je ne peux pas vivre sans toi. Je t’adore.“ Er drückte ihren Kopf an seine Brust. „Warum bist nur so leichtsinnig? Wenn du gefallen wärst … Wenn ich nicht plötzlich aufgewacht wäre und geglaubt hätte, dich rufen zu hören, hätte ich dich nicht retten können. Ich weiß nicht, wie du die Tür zum Turm aufbekommen hast, aber als ich sah, dass sie offen stand … Ich habe noch nie so große Angst gehabt. Bitte, Monty, ich möchte nicht ohne dich leben.“
Sie spürte, dass er die Wahrheit sagte. Sie hätte ihm sagen können, dass auch sie nicht ohne ihn leben wollte, aber plötzlich fiel ihr das Sprechen schwer. Die Nacht, die sie umgab, hatte etwas Eigenartiges, etwas Magisches an sich. Etwas, das Monty dazu brachte, zu schweigen, Sebastian ruhig zuzuhören und ihm zu glauben. Sie legte die Arme um seine Schultern und hielt ihn so fest wie er sie.
„Du musst mir glauben. Es ist mir vollkommen egal, wie du heißt. Du kannst Montgomery Carlisle oder Johanna von Orléans sein. Das Schloss interessiert mich nicht. Meinetwegen kannst du jeden Cent des Carlisle-Vermögens ausgeben. Ich liebe dich, Monty. Und ich will den Rest meines Lebens damit verbringen, es dir zu beweisen. Lass mich es dir zeigen. Lass mich etwas unterschreiben. Eine Erklärung, dass ich auf nichts, was dir gehört, Anspruch erhebe.“
Monty hob langsam den Kopf. In seinen Augen suchte sie nach der Wahrheit und fand sie. „Ich liebe dich, Sebastian. Verzeih mir, dass ich so unsicher war. Verzeih mir, dass ich dir nicht vertraut habe. Verzeih mir, dass ich unsere Zukunft fast etwas so Unwichtigem wie Geld geopfert
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