BIANCA EXKLUSIV Band 0173
gewesen, sie mit einer lebenslangen Rente auszustatten, aber sie hatte es vorgezogen, in seiner Nähe zu bleiben und für ihn zu arbeiten. Typisch Edna, dachte er.
Er musste zugeben, dass es ihm gefiel. Obwohl Edna Farley nie mütterliche Gefühle zeigte, ersetzte sie ihm in mancher Hinsicht die Mutter, die seine eigene Mutter nie gewesen war. Beide waren sie es gewohnt, ihre Gefühle vor anderen Menschen zu verbergen. Aber dennoch kümmerte sie sich um ihn. Und er sich um sie.
Plötzlich bellte es in der Ferne. Sin-Jin erschrak, eilte sofort zum Waffenschrank und nahm ein Gewehr heraus. Auf dem Weg zur Tür lud er die Waffe. Greta bellte. Greta war ein Irish Setter, und sie arbeitete besser als sämtliche Alarmanlagen, die er kannte. Außerdem konnte eine Hightech-Alarmanlage sich abends nicht zu seinen Füßen zusammenrollen und ihn aus ihren braunen Augen anschauen. Gretas treuherzige Blicke halfen ihm, aus seinem anstrengenden Alltag auszuspannen.
Sin-Jin öffnete die Tür und schaute sich um. Zirka hundert Meter rechts begannen die Wälder, und von da aus konnte er nichts mehr erkennen.
„Greta, was ist los?“ Er hatte etwas gehört.
Die Hündin bellte lauter, als sie seine Stimme erkannte. Er lauschte aufmerksam, um das Geräusch zu lokalisieren. Entschlossen ging er in die Richtung. Mit der Hand umklammerte er das Gewehr. Er war auf alles gefasst.
Nur nicht auf das, was er plötzlich vor sich sah.
Vor ihm stand wieder diese Frau. Die Reporterin, die ihm vor ein paar Tagen im Fahrstuhl wegen seiner Lebensgeschichte aufgelauert hatte.
Verdammt noch mal, wie hat sie mich nur gefunden? überlegte er fieberhaft.
Mit grimmiger Miene machte er ein paar Schritte auf sie zu. Sie trug einen weißen Parka, der offen stand. Wahrscheinlich war sie schon zu umfangreich, um den Reißverschluss noch zuziehen zu können.
Wie war doch gleich der Name? überlegte er. Campbell. Cheryl? Nein, Sherry!
Mit jedem Schritt wurde er wütender. „Sie dringen hier unbefugt ein!“, rief er ihr zu. „Das ist Privatgelände. Was haben Sie hier zu suchen?“
Sherry schnappte nach Luft. Der Geländewagen, den sie sich von einem Freund ausgeliehen hatte, hatte sich offenbar entschieden, nicht weiter in Adairs Terrain vorzudringen. Schon vor einer halben Meile hatte er den Geist aufgegeben. Wandern war ihr nie schwergefallen, auch nicht mit dem Baby im Bauch, aber die letzte halbe Meile war es bergauf gegangen. Der Hund, der aus dem Nichts aufgetaucht war und sie ankläffte, hatte ihr auch nicht unbedingt weiterhelfen können. Ihr Herz hatte sich vor Schreck fast überschlagen. Zum Glück war der Hund nicht bissig.
„Der Wagen macht Probleme“, brachte sie mühsam hervor.
Von einer Journalistin hätte ich eigentlich eine originellere Ausrede erwartet, dachte er grimmig. „Wer’s glaubt, wird selig“, bemerkte er.
„Dann sehen Sie doch selbst nach“, entgegnete sie aufgebracht. „Eine halbe Meile die Straße bergab.“
Sein Blick fiel auf ihren Bauch. Ihr gesamter Körper schien vor Anstrengung zu zittern. „Spinnen Sie?“, stieß er wütend hervor. Schwangere Frauen sollten sich in der Nähe von Krankenhäusern aufhalten und nicht in den Bergen herumspazieren.
„Kann gut sein.“ Sie blieb stehen, um tief durchzuatmen. Langsam schien der Druck aus ihren Lungen zu weichen. Sie versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nur ansatzweise. „Sie sind nicht der Erste, der das von mir wissen will.“ Sherry machte Anstalten, sich die Lippen mit der Zunge zu befeuchten, aber es gelang ihr nicht.
„Ich bemühe Sie nur ungern, aber würden Sie mir vielleicht ein Glas Wasser besorgen?“
„Ja.“ Unwillig hielt Sin-Jin inne. Es würde dieser Frau gerade recht geschehen, dachte er, wenn ich sie auf der Stelle zurückschicke. Er bezweifelte ernsthaft, dass ihr Wagen schlapp gemacht hatte. Aber sie war schwanger, und der Schweiß lief ihr über die Stirn, obwohl es sehr kalt war. Warum auch immer sie sich auf den Weg zu ihm gemacht hatte, die Aktion war ganz offensichtlich über ihre Kräfte gegangen. Sin-Jin schaute auf die Hütte. Der Gedanke, sie hineinzulassen, gefiel ihm trotzdem nicht. „Wahrscheinlich wollen Sie das Wasser nicht hier draußen trinken.“
Sherry wurde langsam schwach auf den Beinen. „Wenn Sie nichts dagegen haben, setze ich mich für einen Augenblick“, kündigte sie an und schaute sich um. „Am besten nicht auf den kalten Boden.“
„Sie überraschen mich“, murmelte Sin-Jin in sich hinein.
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