BIANCA EXKLUSIV Band 0174
gesehen?“, fragte er unvermittelt.
„Nicht seit dem Dinner. Dabei fällt mir ein, dass ich dich seitdem auch nicht gesehen habe. Gehen wir ein bisschen spazieren?“
„Gute Idee. Vielleicht treffen wir Bianca dabei.“
Viv lächelte ihn an. „Diese Familientreffen sind nie lang genug, um sich mal richtig aussprechen zu können, stimmt’s?“
Neill widersprach nicht, obwohl er anderer Ansicht war. Diese Zusammenkünfte riefen ihm stets ins Bewusstsein, dass es eigentlich keine richtige Familie war, dass er im Laufe der Jahre so viele Personen verloren hatte, die ihm wichtig waren.
Viv plapperte den ganzen Weg zur Ruine. Neill hörte kaum zu, bis sie erklärte: „Ich kann es kaum erwarten, dass du mein neues, historisches Motorrad siehst. Es hat einen Beiwagen, so dass wir zusammen fahren können.“
Das ließ ihn aufhorchen. „Du bist den ganzen Weg hierher auf einem alten Motorrad gekommen?“, hakte er ungläubig nach.
„So weit war es gar nicht.“ Viv kramte in ihrer Handtasche und drückte ihm einen Schlüsselbund in die Hand. „Hier, warum siehst du dir mein neuestes Spielzeug nicht mal an? Es steht in dem alten Schuppen hinter der Apfelplantage. Vielleicht hast du Lust zu einer Spritztour.“
Erneut hörte Neill kaum zu. „Mom, weißt du, wie alt ein Baby sein muss, um sitzen zu können?“
Viv starrte ihn entgeistert an, so als sähe sie ihn zum ersten Mal. „Ich kann mich nicht genau erinnern, aber ich schätze, es dauert etwa sechs Monate. Aber warum in aller Welt willst du das wissen?“
„Ach, nur so“, entgegnete er ausweichend. „Ich brenne darauf, dieses Motorrad zu sehen“, behauptete er, um weiteren neugierigen Fragen vorzubeugen. Und dann ließ er sie einfach stehen und machte sich notgedrungen auf den Weg, um den Vorwand in die Tat umzusetzen.
8. KAPITEL
Neill bahnte sich einen Weg zwischen den knorrigen alten Apfelbäumen hindurch, fand den Schuppen inmitten niedriger Büsche und schloss ihn auf. Kopfschüttelnd betrachtete er die Neuerwerbung, auf die seine Mutter so stolz war.
Nun, wie viele andere Mütter in Vivs Alter würden auf einem Oldtimermotorrad mit rotem Beiwagen fahren? Nicht viele, dachte er und konnte nicht umhin, ihren Unternehmungsgeist zu bewundern.
Nachdem er den Schuppen wieder verschlossen hatte, wanderte er eine Weile ziellos durch den verwilderten, stillen Garten und überlegte, wo er Bianca suchen sollte. Er folgte einem ausgetretenen Pfad, und schließlich lichtete sich die Plantage, und ein kleines zweistöckiges Haus kam zum Vorschein. Auf der Veranda stand ein grauer Kinderwagen, den er sofort erkannte.
Kurz entschlossen marschierte er zur Haustür, um anzuklopfen und nach Bianca zu fragen. Doch als er die Hand hob, wackelte der Kinderwagen, und ein Rascheln ertönte.
Er beugte sich über den Wagen und erblickte Biancas Baby. Es blickte ihn an und lächelte. Er lächelte ebenfalls. Sie hatte überhaupt keine Zähne. Er sah die rosigen Kiefer und die winzige Zunge. Sie verzog das Gesicht, und er fürchtete, sie würde zu schreien anfangen. Stattdessen nieste sie.
„Gesundheit“, sagte Neill automatisch.
Tia runzelte die Nase, nieste erneut und strampelte heftig mit den Beinchen. Ihr Schnuller lag neben ihrem Kopf auf dem Kissen.
„Willst du deinen Binky?“ Er sah einen Tropfen an ihrer Nase und fragte sich, wie Babys sich schnäuzten. Schließlich konnten sie kein Taschentuch halten. Er zog seines hervor, musterte es unschlüssig und faltete es zusammen. Es war so groß. Gab es kleine Taschentücher für Babys, wie es winzige Schuhe und Mützen gab?
„Schnäuzt du dir die Nase, wenn ich dir das hier hinhalte?“, frage er leise und kam sich töricht dabei vor.
Tia stieß die Decke fort und gluckste. Zumindest glaubte er, dass es ein Glucksen war. Es war kein Gurren und auch kein Gurgeln. Und ihre Nase lief.
Er beugte sich über den Wagen, um ihr die Nase zu putzen. Hoffentlich weint sie nicht, dachte er gerade, als sich die Haustür hinter ihm öffnete.
Bevor er sich umdrehen konnte, schrie eine ihm unbekannte Stimme voller Panik: „Mom! Ruf den Sicherheitsdienst an! Ein Mann will dem Baby was tun!“
Im nächsten Moment klammerte sich eine Hand an seinen Arm, und das Taschentuch wurde ihm entrissen.
Neill wehrte sich nicht, protestierte aber: „He, Moment mal. Ihre Nase läuft!“
Die Angreiferin starrte ihn unter langen Ponyfransen an. Sie kaute Kaugummi und konnte kaum älter als siebzehn Jahre sein.
Eilige Schritte
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