BIANCA EXKLUSIV Band 0174
„Mrs. Hasegawa, es gibt allerdings ein Problem, und leider ein gewaltiges.“
Als Anne, Tim und Son-ja in deren luxuriösem Hotelzimmer beieinandersaßen, sagte er nach einer Weile: „Also ist mein leiblicher Vater tot, nicht wahr?“
Anne nickte stumm.
„Könnten Sie nicht mehr über ihn herausfinden?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
Anne zögerte. Sie hasste es zu lügen, und nur John zwang sie dazu. Sie und Son-ja waren übereingekommen, Tim zu belügen, um ihm nicht die Illusionen über Frank zu rauben. Doch nun brachte es Anne kaum über sich, den Jungen so zu hintergehen. Sie wich seinem Blick aus und betrachtete den Blumenstrauß, den Tim für Son-ja mitgebracht hatte.
„Warum nicht?“, wiederholte er drängend.
„Weil es seiner Familie gegenüber nicht fair wäre.“
Tim runzelte die Stirn. „Heißt das, er war verheiratet?“
Anne wünschte sich brennend, dass John hier säße und an ihrer Stelle Tim belügen würde. „Ja.“
„Bevor oder nachdem er sich mit Son-ja eingelassen hat?“
„Schon vorher“, erwiderte Son-ja ruhig. Wieder standen Tränen in ihren Augen. „Tim, was wir getan haben, war falsch. Jetzt, wo ich älter bin, ist mir das klar.“
Das ist Frank und John wahrscheinlich auch klar gewesen, dachte Anne. Aber einen dummen Fehler zu begehen war eine Sache. Ihn hinter einem Lügengewebe zu verstecken eine wesentlich üblere.
„Willst du damit sagen, dass ich ein Fehler gewesen bin?“, fragte Tim seine Mutter mit heiserer Stimme.
Son-ja stand auf, ging zu Tim und umarmte ihn. „Nein, nein, ich wollte dich doch haben. Und du bist ein wunderbarer Junge.“ Liebevoll streichelte sie sein dunkeles Haar. „Damit meine ich nur, dass das, was dein Vater und ich taten, eine Sünde gewesen ist. Wir waren ja nicht verheiratet.“
„Hast du mich deshalb weggegeben?“ Tim fing herzzerreißend zu schluchzen an. Sei Schmerz war so groß, dass Anne sich abwandte, um nicht auch in Tränen auszubrechen.
„Ja, Tim“, antwortete Son-ja ernst. „Ich wollte es nicht, doch meine Familie hat mich dazu gezwungen. Aber jetzt, wo ich dich endlich wiedersehe, merke ich, dass es für dich am besten war. Du bist ein großartiger Junge geworden, Tim.“
Er schluckte. „All die Jahre habe ich dich geliebt“, brachte Tim stockend heraus. „Ich liebte dich, obwohl ich dich nicht kannte und nicht einmal wusste, wo du bist. Hier drinnen“, er berührte sein Herz, „tief drinnen habe ich dich immer geliebt.“
„Und ich liebe dich, mein Sohn“, stammelte Son-ja und drückte Tim fest an sich. „Ich liebe dich so unsagbar.“
Anne kniete vor den Blumenbeeten neben dem Haus, als John zu ihr kam. Er war wütend auf sie, weil sie Son-ja nach Concorde geholt hatte. Doch er versuchte auch, sich mit der Situation abzufinden. Anne war ebenfalls wütend, weil sie in den verwaschenen Jeans und dem uralten Sweatshirt, das noch aus ihrer Studienzeit stammte, so schlampig und ungepflegt aussah.
Finster schaute Anne zu ihm hoch. „Sie hätten es mir sagen sollen, dann wären mir eine Menge Zeit und Energie erspart geblieben“, warf sie ihm vor. „Sie brauchten mir nur Son-jas Namen zu nennen.“
„Ich habe meinem Bruder versprochen, nichts zu verraten“, entgegnete John hart.
„Und das rechtfertigt all Ihre Lügen, was?“ Erbost stieß Anne die Schaufel tief in die Erde.
„Nein, durchaus nicht. Aber ich hatte keine andere Wahl. Tim erzählte mir übrigens, dass er Son-ja getroffen hat.“
„So? Hat er es auch Gloria erzählt?“
„Ja. Sie hat Son-ja für morgen früh eingeladen, bevor sie nach Tokio zurückfliegt.“
Anne hielt den Atem an. Sie wünschte sich um Tims willen inständig, dass alles gut ausgehen würde. „Also ist Gloria nicht verstört und aufgeregt?“
John suchte nach den richtigen Worten, um Glorias Gefühle zu beschreiben. „Verstört und aufgeregt stimmt nicht ganz. Es tat ihr sehr, sehr weh. Aber sie bemühte sich, damit fertigzuwerden. Mehr kann man wohl im Moment nicht erwarten.“
Anne bedauerte, dass sie Gloria ungewollt Schmerzen zugefügt hatte, doch es freute sie, dass Tim und seine leibliche Mutter jetzt erleichtert und glücklich waren. Mit ihr und Robert Ryan würde es wahrscheinlich nie so enden, ganz gleich, wie sehr sie sich danach sehnte.
Ohne den Blick von ihr zu lassen, setzte John sich ihr gegenüber auf die Terrassenstufen und bemerkte scheinbar beiläufig: „Tim sagte auch, dass Sie ihm den Namen seines Vaters nicht verraten
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