BIANCA EXKLUSIV Band 0174
wollten.“
„Stimmt.“ Bei seinem durchdringenden Blick war Anne nicht behaglich zumute.
„Warum nicht?“ Als Anne beharrlich schwieg, fragte John: „Sie wissen doch Bescheid – oder?“
„Ja. Von Son-ja erfuhr ich, wer Tims Vater ist.“
„Wieso weigerten Sie sich dann, Tim das mitzuteilen?“
Sie zuckte die Schultern. Wie sollte sie es erklären? Normalerweise war sie geradezu fanatisch ehrlich. „Vielleicht, weil ich das Gefühl hatte, es würde keinem helfen. Son-ja teilte meine Ansicht. Wir beide fanden, dass Tim genug gelitten hatte. Wenn er jetzt entdecken würde, dass sein eigener Vater und sein Onkel ihn öffentlich nicht anerkennen wollten, würde er nur noch mehr leiden müssen.“
„Anne, Frank versuchte, das Beste für alle Beteiligten zu tun.“
„Wäre Gloria tatsächlich von ihm weggegangen, wenn sie die Wahrheit erfahren hätte?“
„Das ist anzunehmen.“ John atmete tief ein und aus. „Durch das Verschweigen konnte Tim wenigstens mit Vater und Mutter aufwachsen. Er hatte eine Familie und brauchte sich nicht als die Ursache für den Bruch von Franks Ehe zu fühlen.“
„An dem wäre einzig und allein Frank schuld gewesen“, entgegnete Anne hitzig.
„Das wissen Sie und ich. Aber ob Tim das auch geglaubt hätte, wage ich zu bezweifeln. Kinder halten sich in diesen Dingen meist für die Schuldigen.“
Widerstrebend gestand Anne sich ein, dass John damit recht hatte. Rückblickend betrachtet, wurde ihr bewusst, dass er und Frank für Tim nur das Beste gewollt hatten, ganz gleich, ob es richtig oder falsch war.
„Also war Ihnen von Anfang an der wahre Tatbestand bekannt, nicht wahr?“, fragte sie schließlich. Was für eine schwere Last das für John gewesen sein musste, konnte sie sich vorstellen.
Er nickte stumm.
„Warum machten Sie all die Verschleierungen und Lügen mit?“
Es dauerte eine Weile, bis er antwortete: „Weil ich Frank liebte und er mein älterer Bruder war. Weil er in Schwierigkeiten steckte und ich ihm helfen wollte, wie jedem Menschen, der Sorgen hat.“
Diese Selbstlosigkeit nahm Anne den Wind aus den Segeln. Sie konnte John nicht verurteilen. „Wissen Ihre übrigen Verwandten auch, dass es gelungen ist, seine leibliche Mutter aufzuspüren? Wenn ja, wie reagieren sie darauf?“
„Eigentlich recht gut. Doch Tim ist sehr enttäuscht, dass er die Familie seines Vaters nie kennenlernen wird. Aber er scheint sich damit abzufinden, dass weder Sie noch Son-ja ihm mehr sagen wollen.“
Anne beugte sich über das Beet, pflanzte Gardenien ein und klopfte die Erde um sie fest. „Ich wünschte, uns wäre eine bessere Begründung eingefallen.“
„Man sollte sich lieber an die Wahrheit halten, oder wenigstens annähernd“, erwiderte John leise und fügte hinzu: „Sind Sie mir böse?“
„Ein bisschen.“ Sie schaute John in die Augen. „Und Sie? Sind Sie mir auch böse?“
„Nicht so sehr, wie ich vermutete. Dass Tim seine Mutter getroffen hat und nun weiß, wie sehr sie ihn von Anfang an liebte und noch liebt, hilft ihm vielleicht sogar. Uns bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten, was geschieht.“
Kurz darauf verabschiedete John sich und fuhr nach Hause. Unterwegs sah er Tims Auto vor den Städtischen Tennisplätzen stehen. Das hätte John nicht gewundert, weil er und Gloria in dieser Gegend wohnten und er seinen Nichten und Neffen hier öfter irgendwo begegnete. Doch er wunderte sich sehr, dass Tim offenbar mit jemandem verabredet war, und das nach diesem aufwühlenden Tag! John stellte nämlich fest, dass Tim keine Sportkleidung trug.
Langsam fuhr John weiter und entdeckte Melinda, seine Ex-Frau, die auf Tim zuging. Hier spielte sich etwas ab, und wenn diese ehrgeizige Reporterin damit zu tun hatte, war es bestimmt nichts Gutes.
In einer Seitenstraße hielt John an und lief zu den Tennisplätzen zurück. Er wollte die beiden wirklich nicht belauschen, aber es war abends hier so still, dass er die Stimmen deutlich hören konnte.
„Du musst mir helfen, Tante Melinda. Verdammt, ich habe das Recht zu erfahren, wer mein leiblicher Vater ist.“
„Tim, das kann ich nicht … John!“ Melinda Gesicht wurde bleich. Tim wirbelte herum. „Was machst du denn hier?“, fragte er zornig.
Diese Reaktion hatte John befürchtet. Hastig stellte er eine Gegenfrage. „Was geht hier vor?“
Tim warf einen beschwörenden Blick auf seine Tante. „Bitte denk darüber nach, Tante Melinda. Bitte. Wenn du mir nicht hilfst, weiß ich nicht weiter.“
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