BIANCA EXKLUSIV Band 0180
sie die Sonne bedeckten, bevor er die Höhle erreicht hatte, würde er in große Schwierigkeiten kommen. Schließlich war die Sonne seine einzige Orientierungshilfe. Er hatte sich nicht die Zeit genommen, die Bäume auf seinem Weg zu markieren.
Wie Mariel machte er sich Sorgen darüber, wie lange das Baby noch ohne Nahrung auskommen würde. Während er durch den Wald ging, erschienen immer wieder diese schrecklichen Bilder vor seinem geistigen Auge: Er sah Mariel mit dem Baby auf dem Arm durch den Tiefschnee gehen, sah, wie sie sich darin verirrte. Er sah, wie sie hinfiel, zu erschöpft, um wieder aufzustehen, und hörte, wie das Baby in ihren Armen schrie, bis sein Weinen schließlich verstummte.
Er war auf einmal wütend auf sich selbst, weil er Mariel nicht das Versprechen abgenommen hatte, mit dem Kind in der Höhle zu bleiben. Warum war er bloß so eigensinnig gewesen und so schnell losgegangen?
Nun fielen schon die ersten Schneeflocken. Wenn Mariel und Jessica noch in der Höhle sind, werde ich mich nie wieder mit ihr streiten, dachte er. Das verspreche ich.
Wenn Mariel und das Baby immer noch in der Höhle sind, werde ich sie in die Arme nehmen und küssen, fügte er noch hinzu, und dieses Versprechen würde er auf jeden Fall einhalten.
Jessica begann zu schreien, und Mariel rührte mit einem kleinen Päckchen Zucker, das sie in ihrer Manteltasche gefunden hatte, etwas Zuckerwasser an und flößte es dem Baby ein. Für eine Weile beruhigte sich das Kind, und Mariel versuchte nachzudenken.
Wo blieb Jack bloß? Falls er nicht zurückkommen sollte, würde sie das Ende des Schneesturms abwarten und sich dann mit Jessica auf den Weg zurück zum Lastwagen machen. Das würde bestimmt nicht leicht werden. Wer weiß, wie hoch dann der Schnee liegen würde.
Nachdem Jessica vom Zuckerwasser schläfrig geworden war, wechselte Mariel ihr die Windeln und legte sie wieder in das Nest, das sie dem Baby aus dem Wollfutter ihres Mantels bereitet hatte.
Mariel fror. Ohne das dicke Futter hielt ihr Mantel sie nicht besonders warm. Sie setzte sich noch näher an das Feuer, das allerdings nur noch aus einem traurigen Rest Glut bestand.
Sie nahm sich die Taschenlampe und leuchtete die Höhle nach etwas Brennbarem ab, da erblickte sie mit Erstaunen ein weiteres Holzscheit in der Ecke.
Ein weiteres Holzscheit. Aber das war unmöglich! Jack hatte bereits heute Morgen behauptet, dass er das letzte aufgelegt hätte, und als sie dann vor ungefähr einer Stunde doch noch ein kleineres Stück fand, nahm sie an, dass er es einfach übersehen hatte. Und nun lag schon wieder eins in der Ecke. Eigenartig. Wie hatte sie es nur übersehen können? Als sie sich wieder hinsetzen wollte, fuhr ein kalter Windstoß durch die Eingangsspalte. Mariel stand auf und sah hinaus. Der ganze Himmel war jetzt mit düsteren grauen Wolken bedeckt. Vereinzelte dicke Schneeflocken suchten ihren Weg zur Erde und hatten den Boden bereits mit einer dünnen weißen Schicht überzogen. Immer noch kein Lebenszeichen von Jack.
Sie hatte geglaubt, sie hätte sich bereits damit abgefunden, ihn nie wiederzusehen, aber jetzt, da es fast keine Hoffnung mehr gab, wurde ihr Herz auf einmal schwer wie Blei, und ihr Magen zog sich vor Angst krampfartig zusammen.
Nun, sie konnte es ihm wohl nicht übel nehmen, dass er sich nun allein durchschlagen wollte. Zweifellos würde er nach ihr und dem Baby suchen lassen, sobald er auf eine menschliche Behausung traf. Vielleicht hatte er sie überhaupt nur deswegen zurückgelassen. Nun konnte sie nur noch hoffen, dass er tatsächlich Hilfe finden würde. Aber wer würde sich schon durch den bevorstehenden Schneesturm hindurchkämpfen können? Nur Santa Claus, dachte sie. Santa Claus und seine fliegenden Rentiere.
Jack würde über diesen Gedanken lachen, so, wie sie sich jetzt selbst fast auslachte. Aber was wäre, wenn Jack keinen Ort erreichen würde, an dem Menschen lebten? Was wäre, wenn er sich irgendwo da draußen in der Kälte, mitten im Wald, verirrte?
Darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Es hatte einfach keinen Sinn, noch weiter zu grübeln. Sie sollte sich lieber Gedanken darüber machen, wie sie diesen Tag ohne etwas Essbares für Jessica überstehen könnten.
Aber als sie sich über das Baby beugte, das so friedlich und unschuldig schlief, war es um Mariels Beherrschung geschehen. Nicht ihrer selbst wegen. Sie war eine erwachsene Frau und hatte wenigstens etwas von dem gekostet, was das Leben zu bieten
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