Bianca Exklusiv Band 0226
bist der Erwachsene, sie ist das Kind.“
Er straffte sich und zwang sich zur Ruhe. „Ich würde es begrüßen, wenn du in Zukunft die Entscheidungen, die meine Tochter angehen, mir überlässt.“ Damit schritt er an Allison vorbei auf die Tür zu. „Gute Nacht.“ Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern schob Susan aus der Haustür und schloss sie hinter sich.
Unbeweglich saß Allison mehrere Minuten da. Sie versuchte, die letzten Stunden zu rekapitulieren, um herauszufinden, von welchem Punkt an alles schiefgelaufen war. Ihr tat es leid, dass Justin so wütend war, aber sie konnte keine Schuld bei sich finden. Den ganzen Tag schon war er sonderbarer Laune gewesen. Fast wollte ihr scheinen, als habe er es auf einen Streit angelegt.
Allison war elend zumute. Sie hasste Auseinandersetzungen, und ein Konflikt mit Justin, der ihr so viel bedeutete, quälte sie besonders.
Sie löschte alle Lichter im Parterre, verschloss die Türen und ging nach oben. Während aller Verrichtungen und während des Duschens konnte sie nur an Justin denken. Sie verstand sein Benehmen nicht und vermutete, dass er vielleicht Probleme mit seiner Arbeit hatte. Was sonst sollte ihn so reizbar gemacht haben?
Sie zog sich ein Nachthemd an und ging ins Bett. Mit offenen Augen lag sie im Halbdunkel und beobachtete die Schatten der kahlen Baumwipfel, die das helle Mondlicht an ihre Zimmerdecke warf. Sie fühlte sich sehr einsam und unversehens füllten sich ihre Augen mit Tränen. Tränen der Enttäuschung, Tränen der Angst, alles zu verlieren, was ihr lieb und teuer war. Langsam liefen sie aus ihren Augenwinkeln über die Schläfen ins Haar. Sie liebte Justin, und sie liebte Susan. Was nur sollte sie ohne sie anfangen?
Laut brach das Klingeln des Telefons in die Stille des Zimmers ein. Es war schon fast Mitternacht. Allison nahm den Hörer ab.
„Hallo?“ Es war mehr eine Frage, als eine Begrüßung.
„Allison, ich bin’s. Hast du schon geschlafen?“
Sie war nicht fähig, sich bedingungslos zu freuen, weil sie nicht wusste, was er ihr sagen würde. „Nein“, sagte sie.
„Ich auch nicht.“ Einen langen Augenblick herrschte Schweigen. Als er wieder anhob, sprach er hastig. „Ich wollte nicht so mit dir reden, Allison. Ich habe wohl zu heftig reagiert.“
Sie seufzte erleichtert. Er rief an, um sich zu entschuldigen.
„Ich konnte nicht schlafen, ohne noch einmal mit dir zu sprechen“, fuhr er fort. „Ich glaube, wir hatten gerade unseren ersten Streit.“
„Irgendwann musste das ja passieren.“ Entspannt lehnte sie sich in die Kissen zurück. „Wenigstens ist es jetzt vorüber.“ Sie hörte das Rascheln von Bettlaken.
„Was hast du an?“, fragte er in dem offensichtlichen Versuch, ihrer Unterhaltung eine heitere Wendung zu geben.
Allison blickte auf ihr Großmutternachthemd und ihre Socken und lächelte. „Nichts als ein Lächeln“, scherzte sie.
„Ein kleines oder ein großes Lächeln?“
„Ein einsames Lächeln. Ich wünschte, du wärest bei mir.“
Sie sprachen noch eine Stunde miteinander, süßes Bettgeflüster, das sie die Unstimmigkeit vergessen ließ. Sie hatten ihren ersten Streit beigelegt, und Allison fühlte sich sicherer denn je in ihrer Beziehung zueinander.
Am nächsten Tag holte sie wie gewöhnlich Susan zur Schule ab. Nur noch eine Woche bis zum Erntedankfest. Die Schüler waren mit den Kostümen für die Inszenierung des ersten Erntedankessens beschäftigt. Sie schnitten Armlöcher in Lebensmitteltüten und schlitzten die Vorderfront auf, sodass sie wie Indianerwesten aussahen. Danach bemalten sie sie mit farbenfrohen indianischen Symbolen. Andere Schüler bastelten Pilgerhüte und – kragen aus Papier. Die Kinder, die sich als Pilger verkleiden sollten, waren auch für den Bau des Dorfes zuständig. Sie waren damit beschäftigt, Blockhäuser, Bäume und Tiere anzumalen.
Als am Ende des Schultages die Glocke läutete, bot der Klassenraum ein heilloses Durcheinander. Die Kinder hatten zwar die Materialien eingepackt, aber sie hatten keine Zeit mehr gehabt, ihre Bastelarbeiten und die Abfälle fortzuräumen.
Wie gewöhnlich brachte Allison ihre Schüler zu den parkenden Bussen und zu dem Parkplatz, wo sie von den Eltern abgeholt wurden. Susan kam mit, obgleich sie ja mit Allison zurückfahren würde. „Darf ich heute mit dem Bus fahren, Miss Greene?“, bettelte sie, als sie ihre Freunde in das große gelbe Gefährt einsteigen sah. „Oh, bitte!“
„Dein Vater möchte nicht, dass du
Weitere Kostenlose Bücher