Bianca Exklusiv Band 0226
zu sein. Sie wusste, dass er ihre Musterung nicht gebilligt hätte.
Sie stand auf, nahm ihre kleine Reisetasche vom Tisch und schlich aus dem Raum. Am Vorabend hatte sie einen kleinen Waschraum entdeckt. Sie betätigte den Lichtschalter und stellte erfreut fest, dass Drew den Generator angeworfen hatte. Also gab es zumindest warmes Wasser.
Olivia duschte in der kleinen Kabine, schlüpfte dann in die Kleider, die sie am Vortag getragen hatte, um den Anwalt mit ihrer Reife zu beeindrucken. Sie hätte sich nicht die Mühe zu machen brauchen. Er hatte ihr lediglich geraten, sich einen Ehemann zu suchen, und hinzugefügt, dass es für „ein kleines hübsches Ding“ wie sie doch kein Problem sein dürfte. Wie die meisten Männer blickte er nicht hinter die Verpackung.
Zugegebenermaßen war sie schuldig, diese Verpackung gelegentlich zu ihrem Vorteil zu nutzen, aber sie respektierte keinen Mann, der sich dadurch manipulieren ließ. Ein Grund mehr, Drew Pierce zu schätzen. Sie wusste, dass sie ihm gefiel, aber er schien entschlossen, nicht danach zu handeln.
Gedankenverloren knöpfte sie ihre Bluse zu. Sie konnte nicht leugnen, dass er die Lösung all ihrer Probleme sein konnte. Er war nur auf der Durchreise. Ob er bereit war, lange genug in Henderson zu bleiben, um seinen Namen auf eine Heiratsurkunde zu setzen?
Das Testament erforderte kein Zusammenleben. Nach sechs Monaten konnte die Ehe annulliert werden. Sie schreckte davor zurück, an Drew heranzutreten, und doch fragte sie sich, ob er käuflich war und einwilligen würde.
In ihrem Herzen, das sie stets sorgsam hütete, wusste sie, dass eine Ehe ein dauerhaftes Band sein sollte. Aber die Dinge liefen nicht immer so, wie sie sollten.
Nach allem, was sie von Drews Vergangenheit gehört hatte, hegte er nicht viele romantische Illusionen und auch nicht viele Skrupel, die ihm eine Scheinehe verboten hätten. Aber was wusste sie schon wirklich von ihm? Das Gerede der Leute verurteilte ihn, aber sie spürte, dass mehr in ihm steckte, als die Gerüchte enthüllten.
Vielleicht war es unklug, aber etwas an ihm erregte ihr Mitgefühl. Durch ihren Stiefvater hatte sie genügend Einblick in den Strafvollzug erhalten, um zu wissen, dass manche Männer daran zerbrachen. Wie hatte Drew die Zeit im Gefängnis überstanden? Hatte es ihn mitgenommen? War das der Grund für seine Schweigsamkeit?
Olivia verdrängte die unangenehmen Gedanken und eilte in die Küche.
Drew erwachte abrupt. Als Erstes kam ihm in den Sinn, dass es der vierte Tag war. Sein vierter Tag in Freiheit! Mit geschlossenen Augen lauschte er der wunderbaren Stille, die plötzlich durch das leise Summen einer Frau unterbrochen wurde.
Mit gerunzelter Stirn rief er sich seine gegenwärtige Situation ins Gedächtnis – all die Unannehmlichkeiten und Verzögerungen, die mit Olivia DeAngelis zusammenhingen. Er hörte sie in der Küche hantieren, mit Töpfen und Pfannen klappern. Als ein Teekessel zu pfeifen begann, zuckte er erschrocken zusammen.
Seufzend zog er sich an. Nicht in der Stimmung für Olivias frühmorgendliche Munterkeit trat er unbemerkt zur Haustür hinaus.
Der Sturm hatte sich verzogen. Die Luft war frisch und trocken, der Wind angenehm. Drew hob den Blick zu den Baumwipfeln, die in einen strahlend blauen Himmel ragten. Die Sonne fiel durch das bunte Laub, ließ es feurig leuchten.
Doch der Herbst war nur Blendwerk. Die Natur signalisierte das Ende einer Wachstumsperiode mit protzig zur Schau gestellten prächtigen Farben. Jeder kürzer werdende Tag kündete davon, dass der Winter unterwegs war. Und der Winter konnte wundervoll sein, aber auch brutal, wenn man unvorbereitet, wenn man allein war …
Olivia unterbrach seine trübsinnigen Gedanken. „Guten Morgen.“ Sie trat mit einem Geschenk zu ihm: einer dampfenden Tasse Kaffee.
„Morgen“, sagte er knapp und nahm ihre Erscheinung mit einem kurzen Blick wahr. Ein wadenlanger grüner Rock war anstelle der engen schwarzen Jeans getreten, was ihn irgendwie erleichterte. Doch wenn sie sich bewegte, raschelte der Rock um ihre Beine und unterstrich ihre ausgeprägte Weiblichkeit. Der Kaffee war stark. Er nahm einen belebenden Schluck.
„Brauchen Sie Zucker?“
„Nein.“ Seine Stimme klang rau.
Sie lächelte. „Umso besser. Es ist nämlich keiner da. Davon abgesehen ist die Küche gut gefüllt. Ich habe Kaffee und Milchpulver gefunden.“
Er hob seine Tasse. „Das sehe ich.“
„Konserven sind auch da. Ich wollte eigentlich
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