Bianca Exklusiv Band 0226
Sekunden räusperte er sich. „Hast du je wieder von Abby gehört?“
Der gelassene Ton konnte Drew nicht täuschen. „Gelegentlich.“ Sie hatte ihm Briefe voller Neuigkeiten und Anekdoten über die Familie geschickt. Das Resultat davon war, dass er sie nun besser kannte als in all den Jahren, die sie unter einem Dach gelebt hatten.
Seth heftete den Blick geflissentlich auf die Straße. „Wie geht es ihr?“
„Dich muss es wirklich schlimm erwischt haben“, bemerkte Drew freudlos. Die Beziehung zwischen Seth und Abby schien eine Ewigkeit zurückzuliegen, doch offensichtlich hatte er immer noch Gefühle für sie.
Seth warf Drew einen ungehaltenen Seitenblick zu. „Sie hat mir nie verziehen, dass ich dich verhaftet habe. Aber was hätte ich denn tun sollen? Den Dienst quittieren?“
„Sie kann sehr starrsinnig sein.“
„Ach komm, erzähl mir lieber was Neues.“
Drews Erfahrung nach gab es immer andere Frauen, aber das wollte Seth vermutlich nicht hören. Also schwiegen sie beide.
Er lächelte. Seltsam, wie leicht sie in die alte Gewohnheit der nonverbalen Kommunikation verfielen. Sie waren früher eng befreundet gewesen, bis die Ereignisse sie auf entgegengesetzte Seiten des Gesetzes katapultiert hatten.
In der Verhandlung hatte Seth gegen Drew ausgesagt, ebenso wie Jared Carlisle und viele andere. Daher war es zur Verurteilung wegen Fahrlässigkeit und Verletzung der Sorgfaltspflicht gekommen.
Als sie sich seinem einstigen Zuhause näherten, schnürte sich seine Brust zusammen. Sie passierten die Nachbarfarm „Stone’s End“, die ganz oben auf dem Hügel lag.
Früher mal war im Gespräch gewesen, die beiden Farmen zu vereinen. Drews Vater hatte nach all den Waldbeständen von „Stone’s End“ getrachtet, und Ira Carlisle war zu alt geworden, um das Anwesen zu bewirtschaften. Ihre Kinder miteinander zu verheiraten, war sinnvoll erschienen – zumindest den beiden.
Drew hatte rebelliert und es darauf angelegt, Iras Tochter zu schikanieren. Zu spät hatte er erkannt, dass Jessie niedlich und schneidig und reizvoll war, denn mittlerweile war Ben Harding ihr über den Weg gelaufen und hatte das Rennen gemacht.
„Ira ist vor einigen Monaten gestorben“, berichtete Seth.
„Das tut mir leid.“ Drew hatte Ira trotz aller Differenzen gemocht. Das war vielleicht übertrieben ausgedrückt, aber er hatte ihn zumindest respektiert.
Als Oakridge in Sicht kam, heftete er den Blick auf das Familienanwesen. Entlang der Straße blühte leuchtend roter Gerberstrauch, und in der Ferne glänzten Eichen golden im Sonnenschein.
„Ich gehe den Rest zu Fuß“, sagte Drew. Er hatte das Bedürfnis, diesen Moment der Heimkehr auszukosten. „Danke fürs Mitnehmen.“
Seth hielt den Wagen an. „Falls du irgendwas brauchst, ruf mich an.“
Drew nickte und stieg aus. Dann holte er tief Luft und setzte sich in Bewegung. Nach einigen Hundert Metern versperrte ihm ein schweres Stahltor mit der Aufschrift „Betreten Verboten“ den Weg. Er ignorierte es.
Eine halbe Meile weiter passierte er das Feld, das früher als Lager für die Wanderarbeiter gedient hatte. Nach der Explosion war kaum noch etwas davon übrig geblieben – nur die verkohlten Reste einiger kleiner Gebäude.
Drew erinnerte ein lärmendes belebtes Lager voller Zelte und Wohnmobile, mit spielenden Kindern und Wäscheleinen zwischen den Bäumen. Und ständig Musik.
Zu dieser Jahreszeit feierten die Landarbeiter das Ende der Ernte, bevor sie weiterzogen. Insgeheim hatte er sie stets um ihre Freiheit beneidet.
Nun wirkte die Stille ohrenbetäubend.
Schließlich erreichte er das einst hübsche, zweistöckige Wohnhaus aus Backstein. Auch hier waren die Feuerschäden nicht beseitigt worden. Eine Hälfte des Hauses war mit Brettern vernagelt.
Finster starrte er auf die Versteigerungsankündigung an der Haustür und riss sie ab.
Das Schloss war verrostet. Der Schlüssel drehte sich unter knirschendem Protest. Drinnen spürte Drew die feuchte Kälte bis in die Knochen. Seine Schritte hallten durch die Räume, klangen hohl. Er gehörte nicht dorthin. Er fühlte sich nicht willkommen.
Erinnerungen an seine Kindheit stürmten auf ihn ein. Sie hatten ihn zu dem Mann gemacht, der er nun war. Ihm fiel kein Grund dafür ein, dass er sich nicht wie sein älterer Bruder zu einem soliden, verlässlichen, großzügigen Menschen entwickelt hatte. Er hatte Evan, der stets bevorzugt worden war, nie das Wasser reichen können und daher rebelliert, doch das war
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