Bianca Exklusiv Band 11
unschuldig koketten Art und der umwerfenden Figur war es kein Wunder, dass Selina sich ständig mit hartnäckigen Verehrern und dem einen oder anderen Gläubiger auseinander zu setzen hatte. Doch so verzweifelt hatte sie noch nie geklungen. Selina wusste genau, dass Lucy im Heim unentbehrlich war, und sie hätte nicht so ohne weiteres verlangt, dass ihre Schwester ihretwegen alles stehen und liegen ließ, um nach Italien zu fliegen.
„Du bist verrückt, Selina", sagte Lucy irritiert. „Selbst wenn ich kommen könnte, hätte ich bestimmt nicht genug Geld, um diesen Mann zu bezahlen. Bist du etwa einem Erpresser oder einem Mitglied der Mafia in die Hände gefallen?"
„So könnte man es auch nennen." Selina klang jetzt fast hysterisch. „Du hast doch das Geld, das du für den Anbau zurückgelegt hast. Bring das mit. Alles. Glaub mir, ich würde dich nicht darum bitten, wenn es nicht lebenswichtig wäre. Ich muss Mazzardi meine Schulden sofort bezahlen, weil er mir sonst mit dem Schlimmsten droht. Ich brauche dich, Lucy! Du musst ihm klarmachen, dass ich kein Flittchen bin. Ich habe solche Angst, Lucy, so schreckliche Angst!"
Selina ein Flittchen? Das konnte Lucy nicht auf ihrer Halbschwester sitzen lassen. Lucy war hin und her gerissen zwischen Mitgefühl und Empörung. Schon als Dreijährige hatte sie sich wie eine Mutter um Selina gekümmert, die noch ein Baby war, und auch später, in der Schule und im Berufsleben hatte sie ihrer Schwester mehr als einmal aus der Klemme geholfen, wenn diese wieder einmal leichtsinnig in eine Sache hineingestolpert war. Die Leute ließen sich nur zu leicht von Selinas Schönheit blenden, die die Männer schwach und die Frauen neidisch machte.
Lucy überlegte verzweifelt, was sie tun sollte. Das Geld, von dem Selina sprach, sollte für den Anbau eines Wintergartens verwendet werden, damit die Heimbewohner auch im Frühling und Herbst die Sonne genießen konnten, ohne zu frieren. Sollte sie es stattdessen einem erpresserischen Mann opfern? Außerdem würde es problematisch werden, jemanden für die Leitung des Heims zu finden.
Lucy presste die Lippen zusammen. Sie hatte den Verdacht, dass dieser Mazzardi ihre Schwester mit dem geliehenen Geld unter Druck setzen und sie so heimtückisch zu seiner Geliebten machen wollte.
„Mach dir keine Sorgen, Selina", erklärte sie entschlossen. „Überlass das mir. Ich werde die Sache schon hinbiegen. Gib mir Mazzardis Adresse durch. Ich werde dem Mann noch heute Abend einen Brief schreiben. Danach wird er es nicht mehr wagen, dich zu belästigen, das garantiere ich dir."
„Nein!" jammerte Selina. „Du musst herkommen. Bitte, lass mich nicht im Stich! Der Mann ist ein Ungeheuer. Er meint seine Drohung bitterernst. Lucy, ich muss jetzt auflegen, jemand kommt. Ich erwarte dich morgen Abend. Hotel Borromeo, in Pescatori. Rette mich vor diesem Mann."
Die letzten Worte hatte Selina nur geflüstert, dann war die Verbindung unterbrochen.
Lucy merkte erst jetzt, dass ihr die Hände zitterten. Selina hatte offenbar einen bösartigen Italiener am Hals, der sich nicht abwimmeln ließ. Bilder von Filmgangstern drängten sich ihr auf, doch dann zwang sie sich, die Sache logisch anzugehen.
Selina brauchte sie, so viel stand fest. Lucy überlegte. Sie konnte kurz nach Italien fliegen, wenn es ihr gelang, für diese Zeit eine Vertretung zu finden. Aber das war gar nicht so einfach, denn sie wagte nicht, die Leitung des Heims einem Fremden anzuvertrauen. Die alten Leutchen brauchten nicht nur eine zuverlässige Betreuung, sondern auch seelischen Beistand. Lucy war nur selten fort gewesen, und jedes Mal waren die Heimbewohner glücklich, wenn sie wieder da war. Diese Menschen waren für Lucy wie Familienmitglieder, und sie fühlte sich für sie verantwortlich.
Aber das galt auch für ihre Schwester, und die brauchte sie im Augenblick dringend.
Lucy erledigte einige Anrufe, und zu ihrer Erleichterung bot ihr das Sozialamt eine Aushilfe an, eine sympathische Dame, die bereits einmal eingesprungen war, als Lucy Grippe hatte.
Jetzt galt es, einen Flug zu buchen und sich zu überlegen, was sie ihrer Mutter und Lionel sagen sollte. Natürlich nicht die ganze Wahrheit, denn sie wollte nicht, dass die beiden sich Sorgen machten.
Am späten Nachmittag schob Lucy den Teewagen in den Gemeinschaftsraum. „Ich habe Ihnen allen etwas zu sagen", erklärte sie mit leisem Unbehagen, als jeder eine Teetasse vor sich hatte und die Sandwiches herumgereicht
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