Bianca Exklusiv Band 11
zu sehen, doch bevor sie sich sicher sein konnte, war es schon wieder verschwunden. „Mit wem denn - mit Roderick Dhu oder James Fitz-James?"
Linda studierte ihn überrascht. Ihre stereotypen Charakterisierungsversuche fielen zusammen. Eine solche Belesenheit hatte sie bei ihm nicht vermutet. War er vielleicht Lehrer? Aber das schien unwahrscheinlich.
„Sie überraschen mich", gab sie zu. „Nicht viele Leute kennen sich bei Sir Walter Scott so gut aus."
„Ab und zu lese ich mal ein Buch. Zufälligerweise gefällt mir Scott."
Sie schaute aus dem Fenster und erkannte ihr bekannte Stellen, sie waren nicht mehr weit von Palmetto. „Ich bin gespannt, ob die Stadt sich verändert hat, seit ich das letzte Mal bei Roy und seiner Familie war."
„Sie werden nicht viel verändert finden", murmelte er. „Immer noch die gleichen Bootsplätze, die gleichen alten Fischer, die ihre Netze flicken und Seemannsgarn spinnen, die gleichen engen Straßen und Häuser, Bananenbäume und die gleiche sandige Erde."
„Was ist mit dem alten, riesigen Baum vor dem Postamt? Wenn sie den gefällt haben, dann ..."
„Sparen Sie sich die Aufregung. Bevor der Baum gefällt wird, brechen sie eher das Rathaus ab."
„Gut! Roy und ich haben als Kinder zwischen den großen Wurzeln Verstecken gespielt. Sicher ist der Baum älter als die Stadt..."
Sie merkte, dass sie nur redete, weil sie nervös war. Sie fuhren vor dem neu gebauten Krankenhaus vor, das mitten in einem Park mit tropischen Pflanzen und Palmen lag. Ihre Hände waren kalt und die Kehle wie zugeschnürt.
„Ich lasse Sie vor dem Eingang aussteigen und bringe Ihr Gepäck hinein."
Linda dachte, dass dies das Netteste war, was er gesagt hatte, seit er sie vom Flughafen abgeholt hatte.
Linda ging in das Gebäude, automatische Glastüren öffneten und schlössen sich. An der Information erfragte sie die Zimmernummer ihres Bruders. Mit dem Aufzug fuhr sie in den dritten Stock. Sie fühlte, wie sich ihr Magen verkrampfte, als sie auf dem Flur ungeduldig nach dem Zimmer ihres Bruders suchte. Sie ging um eine Ecke und erkannte die Frau, die gerade auf den Gang trat und leise die Tür hinter sich schloss.
„Frances!"
Die schlanke, dunkelhaarige Frau drehte sich um. Ihre schwarzen Augen schienen übergroß, auf ihrem blassen Gesicht konnte man die Spuren erkennen, die die Anspannung der letzten Zeit hinterlassen hatte.
Linda lief auf ihre Schwägerin zu, und die beiden fielen sich in die Arme. Frances weinte leise. Linda fühlte einen kalten Stich in ihrem Herzen. „Frances ...?"
Die Frau ihres Bruders schüttelte den Kopf. „Achte nicht auf mich, Linda. Ich bin einfach nur mit den Nerven fertig. Roy wird nicht sterben."
„Gott sei Dank", rief sie aus.
Frances nahm ihre Hand und führte sie zu einer kleinen Wartenische am Ende des Ganges.
Sie setzten sich eng beieinander auf das dort stehende Sofa. Frances strich einige Haarsträhnen zurück und suchte nervös in ihrer Handtasche nach der Zigarettenschachtel. Sie zündete sich mit zitternden Händen eine Zigarette an und inhalierte tief. „Ich hab' vor einer halben Stunde mit dem Arzt gesprochen. Er hat die Röntgenaufnahmen und die Laborberichte gesehen. Es - es sieht ziemlich schlimm aus, Linda ..."
Sie brach in Schluchzen aus. Mit den eigenen Tränen kämpfend, streichelte Linda hilflos ihrer Schwägerin über den Arm. Ein ungutes Gefühl kroch in ihr hoch.
Frances atmete tief durch und versuchte die Kontrolle über ihre Stimme wiederzugewinnen. „Beide Beine sind gebrochen und einige Rippen, außerdem überall Blutergüsse. Das wird mit der Zeit heilen. Aber seine Wirbelsäule hat Verletzungen davongetragen. Sie können noch nicht sagen, wie lange das dauern wird. Sie - sie können nicht mit Sicherheit sagen, ob er je wieder gehen kann."
3. KAPITEL
Linda fühlte sich von einer Welle des Schmerzes überrollt. Bilder aus dem Familienalbum schössen ihr durch den Kopf: die beiden Geschwister auf ihren Fahrrädern, beim Ballspiel, wie sie auf Bäume kletterten, bei Spielen am Strand. Sie war immer burschikos gewesen, um mit ihrem Bruder mitzuhalten. Der Gedanke, dass Roy nun vielleicht für immer an den Rollstuhl gefesselt sein sollte, war unerträglich.
„Kann ich Roy sehen?" fragte sie vorsichtig.
„Sie haben ihm eine Spritze gegeben. Die Schwester meinte, er wird wahrscheinlich den Großteil des Tages schlafen."
„Du siehst aus, als könntest du selbst etwas Schlaf vertragen, Frances."
„Ich muss wie mein
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