Bianca Lancia - die Buhle des Kaisers
Wandbord stand eine Reihe von Büchern, ein kostbarer Schatz, vom Großvater ausdrücklich ihr vermacht. An der Wand hing eine sorgfältig gezeichnete Karte von Italien, daneben eine Marienikone, die – angeblich – ein kreuzfahrender Ahne vor über hundert Jahren aus Ostrom mitgebracht hatte. Der große Schreibtisch aus dunklem Olivenholz war mit Papierrollen und Schreibzeug übersät, während |78| man im ganzen Raum vergeblich nach Spuren einer weiblichen Handarbeit suchte. Als der Vater ihr zum fünften Geburtstag ein kleines Spinnrad geschenkt hatte, musste es bald einem Astrolabium weichen, das aus einem abgewrackten Schiff stammte und das sie seit ihrem zehnten Lebensjahr in seinen wichtigsten Funktionen bedienen konnte.
„Setz dich, Giordano. Übrigens weiß ich, warum du kommst.“
Das nahm ihm gleich den Wind aus den Segeln und er stotterte: „Ja, dann – dann muss ich dir – möchte ich dir …“
Sie lächelte fein und sagte im schnoddrigen Jungmännerton: „Spuck’s trotzdem aus!“
Das nun verunsicherte ihn vollends.
„Was – wie – wie redest du denn?“
„Wie rede ich denn? Nicht verständlich? Nicht nach vornehmer Mädchenart?“
„Von dir bin ich das einfach nicht gewohnt.“
„Na gut, was führt dich zu mir?“
„Von Galvano habe ich gehört, dass du ihn nach Cremona zum Kaiser begleiten willst, aber dann musst du mir auch die Frage gestatten: Warum?“
„Spielst du dich jetzt schon als Herr des Hauses auf?“
„Nein, aber ich bin dein Bruder und möchte es wissen.“
„Weil du mein Bruder bist? Ich bin deine Schwester und möchte gern wissen, wie es bei dir mit den Mädchen steht? Galvano war so alt wie du, als er geheiratet hat.“
Giordano lachte laut auf.
„Verheiratet wurde, das kommt der Wahrheit näher. Ansonsten komme ich mit den Mädchen gut zurecht – eine freilich ausgenommen.“
„Das bin natürlich ich. Also gut, warum soll ich deine Frage nicht beantworten. Du weißt so gut wie ich, dass das Schicksal unseres Hauses mit dem Kaiser steht und fällt. Setzt der Lombardische Bund sich durch, dann können wir nur noch auswandern oder Verrat begehen.“
Giordano lief rot an.
„Niemals! Um keinen Preis der Welt! Was unsere Großväter dem Kaiser Friedrich Barbarossa geschworen haben, müssen die Enkel halten. Dafür stehe ich!“
Bianca nickte mehrmals.
|79| „Gut, das ist nun die Sache der Männer. Wir Frauen beschwören nichts, stehen aber fest zu unseren Vätern, Gatten und Brüdern, versuchen sie nach Kräften zu unterstützen. Ich habe ein Gelübde getan, das aber erst wirksam wird, wenn ich dem Kaiser ins Gesicht schaue.“
War das nun ein spontaner Einfall, um den Bruder umzustimmen? Nein, denn Bianca hatte von einem Gott gegenüber abgelegten Gelübde eine zu hohe Meinung, um leichtfertig damit umzugehen. Nach stundenlangem Grübeln hatte sie ihre Hand auf das Kreuz vor ihrem Betschemel gelegt und Gott ihre Jungfräulichkeit dargebracht, wenn er die Sache des Kaisers und das Schicksal ihrer Familie zu einem guten Ende führe. Damit war kein Versprechen verbunden, ins Kloster zu gehen, auch wenn der Gedanke nahelag. Außerdem hatte Bianca die Kühnheit besessen, eine einzige Ausnahme zuzulassen. Für den Kaiser galt das Gelübde nicht. Wenn er sie zur Geliebten oder gar zur Frau begehrte, dann musste sie der von Gott eingesetzten höchsten Majestät gehorchen.
Woher nahm sie die Dreistigkeit, einen so abwegigen Gedanken auch nur ins Auge zu fassen? Damit ging sie ans Äußerste der Möglichkeiten, hielt die Tür zur Umgehung des Keuschheitsgelübdes einen winzigen Spalt offen, um sich nicht ganz als Gefangene ihres Versprechens zu fühlen. Weiter dachte sie nicht, doch sie musste ihn leibhaftig sehen, diesen Mann, der ihr Gelübde ausgelöst hatte. Für sie war er noch eins mit dem Ritter Lancelot aus der Artussage, von dem möglicherweise ihre Familie abstammte. Vielleicht würde der Augenschein dieses Traumgebilde auf den Boden der Wirklichkeit ziehen und den Lancelot vom Kaiser trennen.
Weder Galvano noch Giordano hätten das verstanden, auch Giulia nicht, die von den Rechten und Pflichten einer Frau genaue Vorstellungen besaß. Sie beließ es dabei, Galvano abzuraten, ohne dabei viel Worte zu machen.
„Das ist nur mein Rat, aber letztlich ist es allein deine Verantwortung.“
Wie aber war es mit Berta? Zuerst stemmte sie sich mit aller Kraft dagegen, mochte ihr Küken nicht aus dem Nest lassen. Dann aber war sie dafür, sogar mit
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