BIANCA SPEZIAL Band 04
gewonnenen Züge einprägte, fragte sie sich, was sie tun sollte, wenn er nicht mehr mit ihr befreundet sein wollte. Ihr Leben, das in letzter Zeit so zufrieden und ausgefüllt gewirkt hatte, würde ein wenig leerer und kälter werden.
Er lächelte sie an. „Wie ich sehe, hältst du nichts von höflicher Konversation. Du kommst ohne Umschweife direkt zur Sache.“
„Während des Essens haben wir höfliche Konversation betrieben.“
„Das mag sein.“ Er holte tief Luft. „Du hast recht. Ich bin dir aus dem Weg gegangen. Es war nicht unbedingt die klügste oder vernünftigste Art, die Situation zu handhaben, aber ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte.“
„Weil wir miteinander geschlafen haben“, stellte sie fest.
Er nickte. „Wir waren uns einig, dass es eine einmalige Angelegenheit ist und sich dadurch nichts ändern würde, aber es ist nicht so einfach.“ Er zog eine Grimasse. „Ich kann nicht aufhören, daran zu denken. Ich will wieder mit dir zusammen sein. Aber ich weiß, dass es unsere Beziehung belasten würde, die mir sehr wichtig ist. Ich will, dass wir weiterhin Freunde sind, und ich will dir nicht wehtun. Solange ich keinen Weg gefunden habe, das zu erreichen, erschien es mir einfacher, dich zu meiden.“ Er berührte ihre Hand. „Es war selbstsüchtig und kurzsichtig von mir. Es tut mir leid.“
Eine Weile lang schwieg sie, weil sie nicht wusste, auf welchen Aspekt sie als Erstes eingehen sollte. Er konnte also nicht aufhören, an ihr Zusammensein zu denken. Ihr Herz schlug höher. Sie hatte dasselbe Problem. Erinnerungen an jene Liebesnacht hielten sie des Nachts wach.
Sie wollte ihn in die Arme schließen und ihn bitten, mit ihr zu schlafen. Sie wollte ihm das Versprechen abnehmen, dass er nie wieder aus ihrem Leben verschwand, was auch geschah.
„Danke, dass du ehrlich bist“, sagte sie schließlich. „Ich hatte befürchtet, dass du nicht mehr mit mir befreundet sein willst. Ich hatte Angst, dass du mich nicht mehr in deinem Leben haben willst.“
„Niemals.“ Seine Finger schlossen sich um ihr Handgelenk. „Aber ich will dir nicht wehtun.“
Sie spürte, dass ihre Gefühle ihn mehr kümmerten als seine eigenen. „Das könntest du gar nicht“, versicherte sie.
„Da irrst du dich, Heather. Ich könnte dir sogar sehr wehtun. Aber ich würde es niemals bewusst tun, was immer auch geschieht. Bitte, vergiss das nicht.“
Sie erschauerte unwillkürlich. „Was soll das heißen?“
„Nur das, was ich gesagt habe.“
Bevor sie nachhaken konnte, begann Diane in ihrem Laufstall zu quengeln. Jim stand auf und hob sie auf den Arm. „Wie geht es meinem Herzblatt?“, murmelte er, und sie beruhigte sich sogleich.
„Der Arzt sagt, dass es nur eine harmlose Ohrentzündung war, die bei Babys häufig vorkommt“, erklärte Heather. „Aber durch den Schlafmangel und die Medikamente ist ihr Rhythmus durcheinandergeraten.“
„Du wirst deinen Rhythmus schnell wiederfinden, Herzblatt.“ Seine Stimme klang leise und sanft und zumindest in Heathers Ohren sehr verführerisch. Er blickte Diane mit all der Liebe und Hingabe eines Vaters an, während er sie im Raum umhertrug und ihr mitteilte: „Du bist ein sehr glückliches Wesen. Zu deinem sechsten Geburtstag bekommst du ein Fahrrad und zu deinem zehnten ein Pferd. Mit dreizehn wirst du eine Schönheit sein wie deine Mutter. Alle Jungen werden in dich verliebt sein.“
„Warst du mit dreizehn verliebt?“, erkundigte sich Heather.
Er blickte zu ihr hinüber. „Nein. Ich habe das andere Geschlecht erst ein paar Jahre später entdeckt.“
„Du kommst mir aber nicht wie ein Spätzünder vor.“
„Das war ich auch nicht. Aber mit dreizehn hatte ich keine Zeit, ein Teenager zu sein. Ich war zu sehr damit beschäftigt, meine Mutter zu pflegen.“ Als Diane in seinen Armen gähnte, verkündete er: „Ich bringe sie ins Bett.“
Heather nickte stumm. Ihre Kehle war wie zugeschnürt.
Sie kannte die Fakten seiner Vergangenheit, doch erst in diesem Moment wurde ihr wirklich bewusst, was er durchgemacht hatte und wie es sich auf sein gegenwärtiges Leben auswirkte. Obwohl er ein großherziger, fürsorglicher Mensch war, fürchtete er, dass es nie genug sein könnte. Er lebte in der Angst, die Probleme nicht lösen zu können, vor die das Leben ihn in seinen privaten Beziehungen stellte. Daher mied er sie, anstatt erneut zu versagen. Denn Versagen bedeutete für ihn Tod. Zuerst der Tod seiner Mutter, dann der Tod seines ungeborenen
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