BIANCA SPEZIAL Band 06
zerrte.
April wollte, dass er fortführte, was er begonnen hatte. Doch er wich zurück und ließ sie in die tiefgründigsten braunen Augen sehen, die in ganz Harmony Grove existierten. Sein Blick wirkte verschlossen, sodass sie nicht durchschauen konnte, was in ihm vorgehen mochte. Er gab ihr noch ein flüchtiges Küsschen, das eher aufreizte als befriedigte, und ließ sie abrupt los.
Ihre Knie gaben beinahe nach. Sie stützte sich mit einer Hand auf das Empfangspult und starrte ihn, der so gründlich den Spieß umgedreht hatte, fassungslos an.
Tante Sophie räusperte sich. „Wenn Sie beide fertig sind, Miss Hanson, möchte der Doktor Sie jetzt sehen.“
3. KAPITEL
April wunderte sich noch immer über Glens unerwartetes Benehmen, als sie an diesem Abend im Haus ihrer Eltern über das bevorstehende Familientreffen sprach.
„Reservierst du den Campingplatz auch wirklich für uns allein?“, wollte ihre Mutter Joan wissen. „Es ist schlimm genug für die älteren Leute, in diesen Hütten ohne Klimaanlage auf diesen harten Betten zu schlafen, auch ohne all den nächtlichen Krach von den Jugendgruppen, die ihr immer da habt.“
April holte tief Luft. Zähl bis zehn, sagte sie sich.
Als sie gerade bei fünf angekommen war, verkündete Joan: „Wenn deine Cousine Ardath noch fetter geworden ist, als sie im letzten Jahr war, dann musst du die Picknickbänke verstärken lassen. Bei Hochzeiten und Beerdigungen muss sie ja vor Scham vergehen, wo ihre Seidenstrümpfe doch bei jedem Schritt und Tritt dieses fürchterliche Geräusch von sich geben, wenn ihre prallen Schenkel sich aneinanderreiben.“ Sie schob April einen Bleistift über den Küchentisch zu. „Notiere dir, dass du sie Softball spielen lässt. Der Himmel weiß, dass sie die Bewegung gebrauchen könnte.“
Obwohl Joan manchmal wie eine Dampfwalze wirkte, meinte sie es gut. Ihre Aktionen und ihre bisweilen aufdringlichen Bemerkungen waren lediglich ein Ausdruck der Zuneigung und Besorgnis gegenüber ihren Familienangehörigen.
Dennoch weigerte April sich, an den gut gemeinten Einmischungen teilzunehmen. „Mom, ich werde niemanden zu irgendetwas bringen, das …“
„Und versteck das Bier vor deinem Onkel Joseph. Der Doktor hat ihm gesagt, dass er das Zeug meiden soll. Außerdem wollen wir doch nicht, dass er wieder wie im letzten Jahr aus der Rolle fällt. Die Nachbarn reden immer noch über den Zwischenfall mit der Schubkarre.“
Sie klopfte sich auf den Schoß als Einladung an ihre Katze, die sich um ein Stuhlbein wand, dann jedoch hochnäsig von dannen stolzierte. Maybelline hingegen nahm die Einladung an, stupste Joan voller Zuneigung mit der Nase an und hinterließ einen feuchten Abdruck.
Joan wischte sich das Knie ab und setzte ihren Gedankengang fort. „Ich will auf jeden Fall vermeiden, dass die Klatschtanten neue Munition gegen deinen armen Onkel Joseph bekommen.“
April griff nach dem Bleistift und kritzelte etwas auf ihre Einkaufsliste.
Joan beugte sich vor und las es über Kopf. „Wozu brauchst du denn Klebeband?“
„Um etwas zuzukleben“, erwiderte April mit Unschuldsmiene. Sie musterte Joans Mund und entschied, dass sie eine extra breite Rolle kaufen sollte.
„Und da wir gerade über Bier und öffentliche Demütigung sprechen – was habe ich da gehört, dass du und Glen wegen Alkoholverkaufs ohne Lizenz im Gefängnis wart?“ Joan strich sich durch das silbergraue Haar und stieß ein gequältes Seufzen aus. „Es ist schon schlimm genug, dass deine Schwester sich in Verruf gebracht hat. Ich will nicht, dass du deinen Ruf auch noch ruinierst.“
April presste die Finger an die Schläfen und versuchte, die Anspannung durch eine Massage zu vertreiben, wie sie es bei Glen so oft gesehen hatte. „Hast du mit Nicole gesprochen?“
„Nein. Hat sie auch was damit zu tun? Ich habe es in der Zeitung gelesen.“ Sie nahm die dünne Wochenzeitung vom Sofa, schlug sie in der Mitte auf und legte sie vor April auf den Tisch. Sie deutete mit dem Finger auf ein Foto und einen kurzen Begleitartikel. „Dieser Mann hier behauptet, dass er dich wegen Verstoß gegen das Alkoholgesetz verhaftet hat.“
April seufzte. „Es war ein Missverständnis.“
Das feuchte Glitzern in Joans Augen weckte den Verdacht, dass sie in den Manipulationsmodus wechseln würde.
„Du warst immer so ein braves Mädchen. Ich habe ständig damit geprahlt, dass du mir nie Sorgen gemacht hast. Ich wollte dir sogar etwas ganz Besonderes schenken. Ein
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