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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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herabstoßender Raubvogel.
    Da! Am Ende des von Stahlregalen gesäumten Gangs stand ein Sarg, schwarz lackiert und mit Drachen verziert. Ein chinesischer Sarg, Zhou-Zeit, aus der Provinz Jiangxi. Sie kannte diesen Typ: aus nunma -Holz, feuergehärtet, unglaublich hart. Sie rannte darauf zu und versuchte seinen schweren Deckel anzuheben; die quietschenden Gummisohlen ihrer Verfolgerin waren bereits deutlich zu hören; sie war ganz dicht hinter ihr und kam unaufhaltsam näher; es war nur eine Frage von wenigen Sekunden, bis sie sich auf sie stürzte. Mit aller Kraft versuchte Julia, den Sargdeckel anzuheben; er war sehr schwer und ließ sich nur mit Mühe bewegen.
    Noch drei Sekunden. Sie ging in die Knie – noch zwei Sekunden – und zwängte sich – noch eine Sekunde – durch den Spalt, aber sicher war es schon zu spät, die Verfolgerin hatte sie fast eingeholt. Doch Julia hatte es geschafft – sie war im Sarg. Mit einem dumpfen Knall fiel der Deckel über ihr zu und schloss sie ein. Jetzt war sie in dem langen alten Holzsarg eingeschlossen. Aber würde er Julia auch schützen?
    Das Messer schoss bereits knirschend durch den Spalt zwischen Deckel und Sarg, aber kurz vor Julias Auge kam seine Spitze zum Stillstand. Die Asiatin trat frustriert gegen den Sarg, aber dann kam das Messer sofort wieder durch den Spalt; sie versuchte, die Kiste aufzustemmen. Julia zog den Deckel mit aller Kraft nach unten. Trotzdem wurde der Spalt breiter. Der Deckel hob sich, langsam, aber unaufhaltsam. Verzweifelt schlug Julia nach den mörderischen Fingern, den tastenden Händen, die sie zu fassen und den Holzsarkophag zu öffnen versuchten.
    Und wieder bohrte sich die Klinge phallisch durch den Spalt – doch die zitternde Spitze kam einen Zentimeter vor Julias Hals stockend zum Stillstand. Jetzt wurden die Messerstöße immer hektischer. Die Killerin stach und hackte auf den Sarg ein, versuchte den Deckel wegzukicken und Julias Gesicht und ihren Körper freizulegen. Ein weiterer blindwütiger Stoß der Klinge drang durch den Spalt. Wie lange könnte Julia diesen Attacken noch standhalten? Immer weiter hackte die stählerne Klinge auf den Schlitz ein – und brachte Julia den ersten Schnitt bei. Noch war er nicht tief, nur ein kleiner Ritzer. Dennoch, sie blutete.
    Mit wachsender Panik merkte sie, dass sich die Scharniere verbogen und nachgaben. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sich der Deckel wegschieben ließe; früher oder später wäre sie der Angreiferin wehrlos ausgeliefert. Der nächste Stich durch den sich weitenden Spalt drang weiter vor, und irgendwann würde die Messerspitze sie erreichen und sich tief in ihre Nieren bohren. Und dann gäbe es für die Killerin kein Halten mehr. Julia schrie verzweifelt auf.
    Da, eine Sirene.
    Irgendwo weit weg, gedämpft, aber unverkennbar, das Jaulen von Polizeisirenen.
    Die Angreiferin schien innezuhalten – und zu überlegen. Die Tritte und Stiche hörten auf.
    Julia rollte sich in ihrer Holzkiste wie ein Fetus zu einer Kugel zusammen und schmeckte den metallisch sauren Speichel elementarster Emotionen von instinktiver Angst und unbändigem Überlebenswillen. Sie lag da und lauschte angespannt.
    Schließlich ertönte wieder dieses grausig vertraute rhythmische Quietschen. Die Gummisohlen ihrer Peinigerin. Rannte sie weg? Konnte das sein? Die raschen Schritte wurde leiser und schließlich von Stimmen übertönt: laute Stimmen und Taschenlampen, helle Lampen, richtige Lampen. Türen flogen auf. Die Polizei war jetzt im Archiv.
    Die Killerin war weg – geflohen, nicht mehr hier, irgendwo anders, aber nicht mehr hier –, und Julia war in Sicherheit, in ihrer nunma -Holzkiste eingeschlossen, aber in Sicherheit.
    Die zierliche amerikanische Archäologin in dem 2500 Jahre alten Sarg aus der Zhou-Zeit gönnte sich zwei traurige, zugleich wütend entschlossene Tränen. Dann drehte sie sich auf den Rücken, drückte mit aller Kraft gegen den Deckel und kletterte heraus.

24
    J ake beendete das Gespräch mit Tyrone und versuchte, nicht in Panik zu verfallen, was ihm ausgesprochen schwerfiel. Er rettete sich in blinde Aktivität, zog seine Reisetasche zu, rannte die Treppe hinunter und sprang zu Chemda und Sonisoy in das wartende Tuk-Tuk. Die milde Morgenluft roch nach Fischsoße, Müll, süßem Jasmin und Zweitaktmotoren. Und nach Gefahr.
    Chemda sah ihn an. »Bei dir alles okay?«
    »Nein.«
    »Bei mir auch nicht.« Sie drückte seine Hand.
    Chemdas Onkel erteilte dem Fahrer ein paar

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