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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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Salamander an der unberührten Dunkelheit labten und vor dem beängstigenden Licht davonhuschten.
    Sonisoys kahler Schädel wurde von einem Streifen Sonnenlicht getroffen, der schräg durch das löchrige Dach fiel. Er blickte sich um. Überlegte – und gestikulierte.
    »Hier weiter …«
    Es war aussichtslos. Jake empfand die Ausweglosigkeit ihrer Situation wie Fußschellen, die sich um seine Beine legten, als sie über umgestürzte Säulen und herabgefallene Friese mit rissigen Flachreliefs kletterten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie den Polizisten in die Hände fielen. Vor dem Tod gab es kein Entrinnen.
    Die Tempelanlage war inzwischen von jungen Polizisten überschwemmt. Sie waren überall zu hören mit ihren dunklen, hohen, lauten Khmer-Vokalen, unangenehm rasselnd und streng und doch jugendlich. Sie würden ihnen nicht entkommen.
    Plötzlich blieb Sonisoy stehen und hob die Hand. Er deutete durch ein Steinfenster auf eine freie Fläche. Wie Wachtürme eines Konzentrationslagers ragten hinter einer Mauer mächtige Kapokbäume empor.
    »Schaut. Die Löwen an der Treppe, dort …«
    Sonisoys Geste lotste Jakes Blick zu zwei steinernen Löwen.
    »Rechts von den Löwen ist ein schmaler Weg«, erklärte Sonisoy. Die steinernen Löwen, seht ihr sie?«
    »Ja.«
    »Der Weg führt in die vierte Einfriedung und dann unter einer Mauer hindurch – wir haben dort einen Tunnel gegraben, um den Schutt wegschaffen zu können.«
    Jake beugte sich aufgeregt vor. »Dann nichts wie los. Wir nehmen den Tunnel!«
    »Halt!«, zischte Sonisoy leise, aber mit Nachdruck. Nur durch eine Mauer von ihnen getrennt, waren hinter ihnen Stimmen zu hören.
    »Jake, es ist besser, wenn nur du zu entkommen versuchst. Du bist derjenige, auf den sie es abgesehen haben. Chemda und ich, wir können hierbleiben und uns gefangen nehmen lassen. Uns werden sie nichts tun …«
    Chemda widersprach heftig. »Wenn Jake geht, gehe ich auch.«
    »Aber Chemda …«
    »Nein!« Ihre Augen leuchteten im Dunkel. »Ich will die Wahrheit über meinen Vater herausfinden. Und ich will bei Jake bleiben.«
    Jake sah sie an. Aufgewühlt.
    »Ah, unsere eigensinnige kleine Chemtik, typisch.« Seufzend legte Sonisoy die Hand auf Jakes Schulter. »Pass einfach gut auf meine Nichte auf, ja? Bitte. Ich werde jetzt jedenfalls in diese Richtung laufen.« Er deutete hinter sich. »Und ich werde ordentlich Lärm machen, um sie abzulenken, damit ihr etwas Zeit gewinnt. Aber nutzt diese wenigen Sekunden gut …« Er packte Jakes Schulter fester. »Sobald ihr aus dem Tempel raus seid, lauft ihr einfach durch den Wald, dann kommt ihr zu einem Baray, Srah Srang. Außer den Einheimischen, den Leuten aus dem Dorf, kommt dort niemand hin, keine Touristen und keine Polizei – dort findet ihr bestimmt jemanden, der euch nach Anlong Veng fährt.«
    Die Polizisten kamen näher. Jake konnte den lose herumliegenden Schutt unter ihren schwarzen Stiefeln knirschen hören.
    Sonisoy blickte mit sorgenvollen Augen durch das zerstörte Dach in den Himmel hinauf. »So, jetzt ist es so weit. Wir müssen uns trennen. In drei Sekunden, zwei Sekunden … los.«
    Chemdas Onkel lief geräuschvoll los und rief:
    »Chemda! Jake! Hier lang!«
    Sofort antwortete ein Chor aufgeregter Stimmen. Die Polizisten hatten ihn gehört. Sonisoy gab weiter laute Richtungsanweisungen, lockte die Verfolger von Jake und Chemda fort.
    Jake ergriff Chemdas Hand, und gemeinsam huschten sie in den Sonnenschein hinaus, an den Löwen vorbei, über eine Terrasse und eine Treppe hinunter zu einem schmalen Weg.
    Da! Ein Stück vor ihnen führte der Weg in einem kurzen Tunnel unter einer Mauer hindurch. Sie rutschten den schlammigen Zugang hinunter und stolperten durch die dunkle Röhre. Auf der anderen Seite empfing sie friedvolles Licht, das von einem entsetzlichen Geräusch zerrissen wurde.
    Einem markerschütternden Schrei.
    Der Schrei war so laut und so grauenhaft, dass er das aufgeregte Schnattern des Dschungels schlagartig zum Verstummen zu bringen schien; der Laut hatte fast nichts Menschliches mehr, es war das Aufheulen einer Kreatur, die brutal misshandelt wurde. Und dann setzten die Rufe der Polizisten wieder ein; sie nahmen die Verfolgung auf.
    »Sonisoy …« Chemdas Augen flackerten vor Entsetzen. »Was haben sie mit Sonisoy gemacht?«
    Wieder gellte ein Schrei durch die Stille, der gequälte Aufschrei eines Mannes.
    Einen Moment stand Jake da wie gelähmt. Es schien sich wie ein immer wiederkehrendes Element

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