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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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durch sein Leben zu ziehen: Er ließ einen Menschen zurück, einen blutüberströmten zerschmetterten Körper, der kaum noch atmete.
    Aber dann ergriff wilde Entschlossenheit von ihm Besitz.
    »Los, sonst tun sie uns das Gleiche an.«
    Er zog heftig an Chemdas Hand – ganz kurz widersetzte sie sich; doch dann nickte sie schaudernd, und gemeinsam rannten sie, so schnell sie konnten, in den Dschungel, immer weiter den schmalen Pfad entlang, immer tiefer in diesen Urwald aus Lärm und Hitze hinein. Ein feuchtschwüles Gewirr aus üppigem Grün nahm sie auf. Vögel und Affen buhten wie höhnische Zwischenrufer. Insekten umschwirrten sie, sirrend und wütend; riesige schwarze Wespen schossen auf ihre verschwitzten Gesichter herab; irrlichternd flackerte Sonnenlicht durch das grüne Blätterdach.
    Sie liefen, bis sie sich kaum mehr auf den Beinen halten konnten, bis sich Jake, keuchend um Atem ringend, gegen einen Baumstamm sinken ließ. Chemda schlang die Arme um seinen Hals; ihr warmer, stoßartiger Atem streifte hauchend über seine Haut. Erschöpft aneinanderlehnend, hielten sie sich gegenseitig aufrecht.
    Dann blickte Jake auf.
    Zwischen den Bäumen blitzte das metallische Funkeln einer weiten Wasserfläche hindurch, ein Baray, ein in der glühenden Nachmittagssonne gleißender Quecksilber-Lido.
    Vielleicht auch ein Dorf?
    Ohne zu zögern, ging Chemda los. Am Ufer des Reservoirs standen mehrere Holzhütten, im Wasser planschte eine Schar ausgelassener Kinder.
    Jake, dessen Lungen von der Anstrengung immer noch heftig brannten, folgte ihr. Chemda war barfüßig. Ihre Fußgelenke bluteten. Sie nahm ihren Rucksack ab, fischte ihre Flipflops heraus und schlüpfte hinein. Dann warf sie sich den Rucksack wieder über die Schulter. Bei seinem Anblick wurde Jake schmerzlich bewusst, dass das jetzt ihr gesamter Besitz war. Sein Rucksack und ihrer. Zwei armselige Rucksäcke.
    Als sie gemeinsam auf das Dorf zugingen, überkam ihn trotz aller Verlassenheit ein Gefühl tiefer Zusammengehörigkeit mit Chemda. Sie mussten da gemeinsam durch. Er war voll und ganz auf sie angewiesen, und sie auf ihn. Egal, was passierte.
    Das Dorf wirkte so verschlafen, als wäre es narkotisiert worden. Auf den Holzpodesten eines Platzes lagen ein paar Frauen in bunten Krama s herum; barfüßig und schmutzig dösten sie vor sich hin, gähnten, stillten ihre Babys. Die Männer saßen an Banyanbäume gelehnt oder schliefen in ihrem Schatten. Wach waren nur die Kinder und die Hähne.
    Ein alter Mann in einem weißen Lendentuch kam ihnen entgegen und musterte sie, dann stellte er ihnen ein paar kurze Fragen, die Chemda beantwortete. Er sah aus wie Mahatma Gandhi. Seine Zähne standen kreuz und quer, aber seine Augen waren freundlich und pfiffig. Chemda nahm ein paar Dollarscheine aus ihrem Rucksack, worauf der Mann länger zu ihr sprach.
    Chemda übersetzte für Jake. »In vierzig Minuten fährt ein Pick-up von hier los. Er bringt Früchte nach Thailand. Er fährt über Anlong Veng. Wir können uns auf der Ladefläche verstecken.«
    Sie mussten warten. Jake hatte nichts dagegen, zu warten. Seine Beine schmerzten von ihrer Flucht durch den Dschungel, und Sonisoys grässlicher Schrei steckte ihm immer noch in den Knochen. Was hatten sie ihm angetan?
    Der alte Mann führte sie zum Versammlungsplatz des Dorfes, auf dem ein paar Hühner und Kinder herumwuselten. Am spiegelglatten Wasser des Baray spielten fünf Jungen mit einem Federball, den sie sich gegenseitig zukickten.
    Der alte Mann goss aus einem Metallkrug Wasser in zwei Plastikbecher und reichte sie ihnen. Das Wasser war kalt und köstlich. Jake trank es gierig.
    »Aw kohn.«
    Der Alte grinste. In seinem Blick war ein Funke Charme und Freundlichkeit, vielleicht sogar Mitgefühl für diese zwei schweißüberströmten, verdreckten jungen Leute, die völlig verängstigt aus dem Dschungel gekommen waren. Er verschwand in das Dunkel einer Hütte und kam mit einer Schale gekochter Eier zurück und bot sie ihnen an. Jake hatte fast einen Tag lang nichts mehr gegessen und nahm sich dankbar eines.
    Als er das Ei jedoch aufschlug, wurde er sich seines Fehlers bewusst. Chemda beobachtete ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. Aber es war schon zu spät. Jetzt musste er es essen. Der stechende Geruch, der von dem warmen gekochten Ei aufstieg, verriet ihm, was er da in der Hand hielt.
    Balat. Ein gekochtes Entenembryo, ein befruchtetes Ei, das man zwei Wochen oder länger hatte brüten lassen, weshalb es ein relativ

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