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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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müsste doch einiges hergeben, oder nicht? Ich habe auch schon ein paar Ideen. Ich weiß, Sie halten das alles für nichts Besonderes, aber ich hätte da sogar schon eine Theorie, wirklich, ich …«
    Quoinelles wirbelte herum. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, den Julia noch nie an ihm gesehen hatte: Verachtung. Nicht die übliche lächerliche Großspurigkeit, die peinliche Eitelkeit. Nein, Verachtung. Er fuhr sie an:
    »Die Schädel werden morgen zusammen mit den Skeletten weggebracht. In einem Museum sind sie am besten aufgehoben. Die Sammlung von Prunier ist dafür genau der richtige Ort.«
    »Aber …«
    »Sie sind entlastet, sagt man das so? Nein, entlassen. Fertig. Ich brauche Sie nicht mehr.«
    »Aber Ghislain, das können Sie doch nicht tun, das ist der beste Fund, den ich je gemacht habe. Ich weiß, mir passieren manchmal Fehler und …«
    »Ça suffit!« Er verzog wütend das Gesicht. »Fahren Sie nach Hause. Am besten sofort. Zurück in die Staaten. Dort gibt es doch auch historisch Relevantes, oder etwa nicht? Einige Ihrer Postämter sind dreißig Jahre alt.«
    Inzwischen regnete es in Strömen, und heftiges Donnergrollen wälzte sich über die verlassene Hochebene. Julia spürte, wie das Dunkel sie und alle ihre Träume zu ersticken drohte: die hochfliegenden Träume des Nachmittags, der Fund der Saison, die Rechtfertigung für alles.
    »Aber das ist mein Fund! Das ist nicht fair! Ghislain, Sie wissen ganz genau, dass das nicht fair ist.«
    »Was bilden Sie sich eigentlich ein? Ihre Entdeckung ist vollkommen belanglos, sie ist … nichts.« Ghislains schwarzes Haar troff vom Regen, seine Lederhose war schmutzverschmiert; er bot einen erbärmlichen, aber auch ein wenig bedrohlichen Anblick.
    Und tatsächlich begann Julia, vor ihm zurückzuweichen. Sie waren ganz allein in der Einsamkeit der Cham. Weit und breit kein Bauer, nicht einmal ein einsamer Schäfer, die Dörfer ausgestorben: nur sie und Quoinelles. Und mit erschreckender Deutlichkeit spürte sie plötzlich die physische Bedrohung, die von ihm ausging. Sein Finger stieß zornig auf sie zu.
    »Was wissen Sie denn schon? Sie mit Ihrem Studium an einem dieser amerikanischen Colleges? Sie haben doch noch nie etwas von diesen Dingen gehört. Sie haben nicht die leiseste Ahnung. Diese Schädel und Skelette sind nichts Besonderes. Sie sind typisch. Vollkommen belanglos. Ja, total belanglos«, wiederholte er. »Ich bitte Sie hiermit, morgen Ihre carte d’identité zurückzugeben.«
    Seine Aggressivität war deutlich zu spüren, aber etwas an seiner Art war seltsam. Julia konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er sie zum Spaß fertigmachte, sie zu seinem eigenen perversen Vergnügen herunterputzte.
    Aber so leicht ließ sie sich nicht ins Bockshorn jagen. Du kannst mich mal , dachte sie herausfordernd. Selbst wenn du mich feuern willst, du kannst mich mal. Sie starrte ihn mit gerecktem Kinn trotzig an.
    Nur vom leisen Rauschen des Regens umgeben, standen sie eine Weile wortlos da.
    Schließlich drehte er sich mit einem verächtlichen Achselzucken um und ging zu seinem Auto. Julia sah ihm nach; plötzlich wirkte er überhaupt nicht mehr lächerlich, wie er durch den Regen davonstapfte.
    Und was jetzt?
    Ihr Auto stand in der entgegengesetzten Richtung. Allein mit sich und ihrer Enttäuschung und der Scham über ihre Zurückweisung, ging sie los. Mit einem Schlag waren all ihre Träume zerplatzt. Jetzt könnte sie doch nicht ihre Eltern anrufen und ihre Entscheidung, in Europa zu arbeiten, vor ihnen rechtfertigen; und sie könnte niemandem, nicht ihren Freunden und Kollegen und erst recht nicht der ganzen Welt, irgendetwas von ihrem großen Fund erzählen. Sie kam sich vor wie ein verliebter Teenager, der gerade einen Korb bekommen hatte; sie kam sich vor wie der letzte Idiot.
    Sie war rüde abserviert worden.
    Niedergeschlagen stapfte Julia durch den Regen. Ihr trister Weg führte sie an einem Unterstand für Kühe, einem Stacheldrahtzaun und einem vor Nässe glänzenden Megalith vorbei. Trotz des peitschenden Regens blieb sie an dem einsamen Menhir stehen und ließ den Blick über die Cham des Bondons und die Steine von Lozère wandern.
    Sie mochte diese Gegend – trotz ihrer bedrückenden, schwermütigen Atmosphäre. Es ging ein ganz besonderer Reiz von dieser geschundenen Landschaft mit ihren unheimlichen Legenden und Menhiren aus. Hier trafen die Werwölfe der Margeride auf die düstere Cham des Bondons.
    Obwohl es stark regnete, hatte es

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