Bibel der Toten
Hmong.«
»Ist das nicht so ein Bergvolk?«
»Eigentlich sind sie in den Hochländern ganz Südostasiens ansässig, aber das hier ist das Kernland der Hmong. Phonsavan und die Dschungel und Berge südlich von hier. Dort unten gibt es nach wie vor viele Hmong-Rebellen. Heißt es jedenfalls. Für sie ist der Vietnamkrieg immer noch nicht zu Ende.«
»Da habe ich auch schon einige ziemlich verrückte Storys gehört.«
In der Ferne wurden die Lichter eines größeren Gebäudes sichtbar. Chemda fuhr fort:
»Im Vietnamkrieg, als Laos eine geheime Kampfzone war, haben die Hmong den Amerikanern geholfen. Die Nordvietnamesen haben Laos als, äh, Durchgangsroute benutzt, um Waffen nach Südvietnam zu schaffen.«
»Der berühmte Ho-Chi-Minh-Pfad.«
»Genau! So unbeleckt bist du ja gar nicht.« Ihre Augen leuchteten kurz auf. »Ja, er ging genau hier durch. Durch die Ebene der Tonkrüge. Jedenfalls, die Amerikaner haben Laos heimlich infiltriert und den Ho-Chi-Minh-Pfad bombardiert und viele Hmong rekrutiert, damit sie ihnen in diesem Luftkrieg helfen. Die Hmong waren nämlich gegen die kommunistischen Pathet Lao, die jetzt immer noch an der Macht sind. Das gegenwärtige laotische Regime.« Ihre Stimme nahm einen nachdenklichen Ton an. »In den Hügeln südlich von hier hatten die Amerikaner sogar eine verborgene Stadt errichtet, komplett mit einem Flugplatz, Lagerhäusern und Baracken. Und mit inoffiziell rekrutierten Piloten, die in diesem geheimen Luftkrieg die Bombereinsätze flogen. Die Hmong unterstützten sie dabei, und einige ließen sich sogar selbst zu Piloten ausbilden … Deshalb ist die Lage hier noch sehr, ähm, angespannt, und die Laoten sind grundsätzlich gegen Leute von außerhalb, die nur den ganzen Schmutz der Vergangenheit wieder aufwühlen.«
Das Auto hielt abrupt vor einem nüchternen Betonbau an, dessen Parkplatz bis auf zwei schmutzige weiße Minivans leer war. Chemda und Jake stiegen aus. Jake reckte sich gähnend; die Kälte hatte etwas Belebendes, und er atmete in tiefen Zügen die frische Nachtluft ein, die durchsetzt war vom würzigen Geruch von Holzfeuern.
»Lass uns erst mal das Gepäck reinbringen. Dann stelle ich dich den anderen vor. Viele sind wir sowieso nicht mehr.«
Sie hatten nicht viel Gepäck dabei, und es dauerte keine Minute, um die Rucksäcke und Taschen in das schmucklose, ungemütliche Hotelfoyer zu tragen.
In der Eingangshalle war niemand zu sehen. An der Wand hinter der Rezeption zeigten drei Uhren die Zeit in Paris, Vientiane und New York an. Alle waren stehengeblieben.
»Da lang.«
Sie gingen einen Weg entlang zu einer Tür. Chemda klopfte. Stille. Sie klopfte noch einmal. Wieder keine Antwort. Ungeduldig vor Müdigkeit, lehnte sich Jake gegen den Türrahmen. Im selben Moment merkte er, dass er in etwas Klebrigem stand.
Der nächste Gedanke war wie ein Schlag ins Gesicht.
»Chemda, ist das Blut?«
Chemda zuckte zusammen und blickte zu Boden; dann machte sie einen Schritt zur Seite, damit der schwache Schein der Außengangbeleuchtung auf die Pfütze fiel.
Sie war leuchtend rot.
Sofort drückte Jake mit der Schulter gegen die Tür. Sie war nicht abgeschlossen, aber sie ließ sich nur mit enormem Kraftaufwand bewegen, so als würde sie von einem schweren Gegenstand blockiert. Jake stemmte sich fester dagegen; Chemda legte eine Hand auf das Türblatt und drückte ebenfalls. Schließlich ging die Tür auf, und sie betraten ein trostloses, grell beleuchtetes Hotelzimmer.
Es war leer.
Woher kam das Blut? Jake folgte der Spur. Das sich verdickende rote Rinnsal kam unter der Tür hervor, die er gerade aufgedrückt hatte. Jake zog sie wieder ein Stück zu, um einen Blick hinter sie werfen zu können.
Chemda zuckte zurück.
Von einem Haken an der Rückseite der Tür hing mit dem Kopf nach unten ein toter mann. Ein kleiner, alter Kambodschaner. Mit nacktem Oberkörper, nur mit einer Baumwollhose bekleidet. Seine Fußgelenke waren mit einem Seil so am Türhaken befestigt, dass seine Hände den Boden berührten und sein Kopf nur wenige Zentimeter über dem blutverschmierten Beton baumelte.
Die Kehle des Manns war durchgeschnitten, und sein Blut war auf den Boden geflossen – wie bei einem geschächteten Tier. Neben dem Toten lag ein blutiges Messer auf dem Boden.
Das nach unten hängende Haar des alten Manns berührte mit seinen Spitzen ganz leicht die rot glänzende Blutlache unter seinem Kopf.
4
U m Himmels willen, Ghislain?«
Plötzlich fiel Licht auf die
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